Travemünder Häuser Nr. 66
Rose 18
Das Karstedtsche Haus
Will man von der Innenstadt kommend in die Fehlingstraße einbiegen, fällt auf der rechten Seite ein etwas trutzburgartiges Gebäude auf, das sog. Karstedtsche Haus, das unter diesem Namen aber kaum einem Travemünder geläufig sein dürfte. Gebaut wurde es zu Beginn des 20. Jahrhunderts von dem Maurermeister Heinrich Hobe (1844-1923), dem Mann, der neben anderen Travemünder Häusern u. a. auch das Possehlhaus gebaut hat.
Das Gelände war erst seit kurzem erschlossen worden: 1882 erhielt Travemünde mit dem sog. Stadtbahnhof in der Bahnhofstraße (heute: Vogteistraße) seinen ersten Bahnanschluss. Dazu waren die Reste der Wallanlage geschleift worden, die seinerzeit das Städtchen Travemünde zur Landseite begrenzten. Auf dem neu entstandenen Gelände wurde die Straße Rose stadtauswärts ausgebaut, ebenso wie die Fehlingstraße. An das neu entstandene Gebäude schloß sich ein großer Garten an, der sich von dem nach dem 2. Weltkrieg erbauten Schlichting-Wohnblock bis zu den roten in den dreißiger Jahren entstandenen Doppelhäusern erstreckte.
Doch zunächst zu dem Gebäude selbst: Heinrich Hobe schenkte dieses Haus seiner Tochter Luise, genannt Lite (1869-1949). Luise Hobe hatte zuvor Wilhelm Karstedt geheiratet und so erhielt das Haus seinen Namen. Die Villa wird von den Chronisten als „herrschaftlich“ bezeichnet, das heißt, man hielt sich Dienstboten, die das Gebäude in Ordnung hielten. Ein Fenster war mit bunten Glasornamenten versehen. Im Souterrain befand sich die Küche, die mit Kacheln mit Seerosen- und Fischmotiven versehen waren. Oberhalb des zweiten Stocks wurde ein Erkerzimmer gebaut, in das man sich in bestimmten Situationen zurückziehen konnte. Es erhielt darum den Namen Schmollwinkel. Wilhelm Karstedt hatte – wie viele andere Travemünder – einen Spitznamen: Der Finanzminister. Der Hintergrund für diesen Spitznamen ließ sich nicht in Erfahrung bringen, vielleicht, weil er gerne mit Geld umging?
Das Ehepaar Karstedt hatte zwei Kinder, Erich und Lisa. Erich ging 1929 nach Afrika und kehrte nach 1945 mit Frau und zwei Kindern nach Travemünde zurück. Er bewirtschaftete zunächst einen Teil einer Bauernstelle in Brodten, die er später verkaufte. Er zog nach Travemünde, allerdings nicht in sein Elternhaus (denn dies war inzwischen verkauft worden, dazu später), sondern in das Zippelhaus in der Vorderreihe 54. Dieses Haus wurde in den fünfziger Jahren abgerissen. An seiner Stelle befindet sich nun ein dreigeschossiges Backsteingebäude, das im Erdgeschoß eine Filiale der Drogeriekette „Ihr Platz“ beherbergt. Eine Büste Dr. Zippels sowie ein Hinweis auf den Namensgeber des alten Hauses befindet sich allerdings noch im Eingang des heutigen Gebäudes. Lisa war handwerklich sehr geschickt; so stiftete sie der St. Lorenz Kirche im Jahre 1928 eine handgestickte Altardecke. Dabei handelte es sich um eine Lochstickerei mit Dreiecken, wobei in jedes Dreieck der Namen „Jesus Christus“ gestickt war. Nachdem Lisa in erster Ehe verwitwet war, heiratete sie „Alex Unger“, der dann auf ehemals Karstedtschem Gelände Ecke Mühlenberg, Gneversdorfer Weg eine Aral-Tankstelle betrieb und den daneben stehenden Wohnblock erbaute.
Das Karstedtsche Haus ging in 1931 an Dr. med. Friedrich Uter über, der es 1937 an den lt. Grundbuchauszug „Lastkraftwagenbesitzer“ Wilhelm Oldörp verkaufte. Wilhelm Oldörp betrieb in der Rose einen Fischgroßhandel und ein Fuhrgeschäft. Während des Krieges wurden die Kellerräume in Luftschutzbunker für die Travemünder Bevölkerung umgewandelt; dazu wurden Extratüren in die Keller eingebaut.
In der Nachkriegszeit hatte Wilhelm Oldörp den baufälligen Balkon auf der Vorderfront abreißen lassen und die Vorderfront des Hauses auf einer Linie vorgebaut. Nach der ersten Ölkrise 1974 hatte er dann die Holzfensterrahmen am ganzen Gebäude entfernen lassen und sie durch Kunststofffenster ersetzt, eine Erneuerung, die nicht zum Stil des Hauses passte.
Der Gartenzaun bestand früher aus weißen Starklettlatten und wurde nach dem Krieg durch verzinkte Eisen ersetzt.
Nach dem Tode von Wilhelm Oldörp wurde dessen Erbe geteilt: den Fischhandel übernahm Hans-Peter Oldörp, das Haus Günter Oldörp. Um den Geschäftsbetrieb auf dem elterlichen Grundstück sicher zu stellen, kaufte Hans-Peter Oldörp seinem Bruder Günter das Haus ab und veräußerte es im Jahre 2002 an seinen Neffen Matthias Oldörp, der es in den Jahren 2003 und 2004 komplett sanierte.
So hat in den letzten Jahrzehnten der Fischhandel das Schicksal des Hauses bestimmt.
Nun, wie oben angekündigt, zum Garten, der auch einer Beschreibung wert ist: Er war besonders schön angelegt. Zunächst fiel er von der Fehlingstraße zur Bahn steil ab und wurde dann von der Familie Oldörp in Eigenarbeit so verfüllt , dass er fast plan war. Auf dem Grundstück befanden sich Bäume verschiedener Art, wie Trauerweiden, Pappeln, Akazien, eine Rotbuche eine Eiche und eine Eibe sowie mehrere Obstbäume. Ein riesiger Süßkirschenbaum – dessen Früchte bei der Travemünder Jugend beliebt waren – begrenzte ihn zur Fehlingstraße. Zwei Karpfenteiche waren Überbleibsel des zu den ehemaligen Wallanlagen gehörenden Wasserlaufs und wurden erst mit dem Bau des Schlichting-Wohnblocks trocken gelegt. In den Teichen wurden offensichtlich so viele Karpfen gehalten, dass sie sogar verkauft werden konnten. Der große Garten wurde übrigens nicht mitverkauft, sondern von einem Herrn Georgs übernommen. Letztlich wurde dieses Gelände von Herrn Harmsdorf, Inhaber der Schlichting-Werft auf dem Priwall, erworben, der dann das oben erwähnte Wohngebäude darauf setzte.
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