Gertrud Siemers, Lübeck (1895-1984)
Ein Maltag in Travemünde

(aus: Niederdeutsche Monatshefte, Februar 1928)

Nach den vielen Regenwochen ist die Sonne doch noch einmal wieder gekommen. Die Kurgäste sind fort, Travemünde gehört uns Malern allein.

Ich gehe die Vorderreihe entlang und freue mich über die vielen Schiffe, die über Nacht herein gekommen sind. Die meisten warten nur auf den Zollbeamten, um weiter nach Lübeck zu fahren.

Am besten gefällt mir der große braune Dreimaster. Schnell die Malsachen her! Die Travemünder Kinder haben Ferien und wollen so gerne helfen, die Staffelei aufbauen und Farben auf die Palette setzen. Das hält ein wenig auf, aber dann wird um so schneller gemalt.

Richtig! Nach einer halben Stunde wirft der kleine Schiffsjunge die Taue los und das Schiff dreht. Gott sei Dank habe ich das voraus gesehen, male nur noch in sausender Eile die Kajüte, da biegt mein schöner Dreimaster schon hinterm Zollamt um die Ecke und entschwindet meinen Blicken. Etwas verstimmt sehe ich meine große Leinwand an, horche eine Weile auf die ewig gleichmäßigen Atemzüge des Wassers und finde langsam meinen
Mut wieder.

Wirklich schön ist, daß mir die Sonne auf den Rücken scheint, es ist das erste Mal in diesem Jahr, daß mich beim Malen nicht entsetzlich friert.

Einige Zuschauer haben sich angefunden, die bald das ganze Blau vom Oktoberhimmel herunter gefragt haben. Ob das Bild zu Hause noch „ausgearbeitet“ wird. – Diese Frage kehrt in allen Städten und Ländern wieder und ist die stille Wonne aller Maler. –
Wieviel so ein Bild kosten wird und wie lange man lernen müsse? Je weiter meine Arbeit fortschreitet, desto übermütiger werden meine Antworten.
Hochbefriedigt ziehe ich dann mit meinem fertigen Bild nach Hause.

Ein Maltag in Travemünde
Straße in Alt-Travemünde. Gemälde von Gertrud Siemers

Nachmittags sehe ich mir nochmals die Vorderreihe an. Herrgott ist das eine Pracht! Diese alten Linden von der Nachmittagssonne beleuchtet! Die Malsachen müssen wieder her. Diesmal habe ich nicht so viel Glück, ich sitze an einer Windecke und das Bild weht mir mehr als einmal in den Sand. Ein richtiges Ölgemälde muß auch das vertragen können.

Der Himmel ist blasgrün, die Linden gelb, der Leuchtturm steht als orangefarbener Fleck in der Landschaft. Ach, wie schnell ist die Beleuchtung vorbei! Der Himmel geht in ein weiches Gelb über, leichte violette Wolken sind plötzlich da. Fast noch schöner ist es jetzt als vorher. Man möchte wieder ein neues Bild anfangen, aber nun wechselt die Stimmung von Minute zu Minute. Meine Studie ist nicht fertig geworden. Wird morgen noch einmal die selbe Beleuchtung sein?

Auf dem Heimweg sehe ich den wirklich schönen Oktober-Vollmond wie eine Sonne emporsteigen.

 

bearbeitet von Gunter Bokholt

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