Der "Auseinandersetzer" Travemünde

Der „Auseinandersetzer“
Schiffsbegrüßung auf besondere Art

Welch ein Ausblick auf das Meer.

Bei meinem Lieblingsspaziergang in Travemünde treffe ich jeden Tag eine erhabene Figur. Sie schaut nicht auf das Meer wie ich, sondern sie stützt die Stirn auf ihren Arm, der auf einem Steinblock liegt. Schwedischer Marmor 2,60 Meter hoch, 4,5 Tonnen schwer.
Auf dem Schild steht:

Auseinandersetzer
von Guillermo Steinbrüggen

Der "Auseinandersetzer" Travemünde

Seit 1992 steht er da; muskulös und wuchtig und gibt mir Rätsel auf.

Ich mache mich also auf den Weg, um den Bildhauer in seiner Werkstatt in Lübeck-Niendorf zu besuchen.

In einer Scheune auf dem Gutshof sind die Tore weit geöffnet, und Guillermo Steinbrüggen begrüßt mich freundlich. Er hat seine Werkstatt seit 2016 hier in Niendorf, und er erzählt, wodurch er hier sofort heimisch geworden ist.

Als er in die Werkstatt einzog, hatte er gerade den Auftrag für eine Madonnen-Skulptur aus weißem Marmor für die Kirchengemeinde in Heringsdorf auf Usedom.

Gutskapelle Lübeck-Niendorf

Guillermo erzählt: „Als ich die großen Werkstatttore öffnete, fiel mein erster Blick auf die Niendorfer Madonna am Giebel der Gutskapelle genau gegenüber. Welch ein eindruckvolles Zeichen.“
Die „Niendorfer Madonna“ stammt aus der Zeit um 1420 und ist eines der schönsten Werke der europäischen Bildhauerkunst aus dieser Zeit
Das Original ist im St.-Annen-Museum zu bewundern.

Guillermo erzählt weiter: „Ich begann meine Arbeit an der Madonna. Mit viel Licht durch die weit geöffneten Scheunentore und mit dem Vorbild gegenüber ging es gut voran. Vor der Gutskapelle sah ich mehrmals Wanderer, die dort eine Rast einlegten. Es stellte sich heraus, dass es Pilger waren.“ Der Jakobsweg aus dem Baltikum führt durch Travemünde und Lübeck genau in Niendorf an Guillermos Werkstatt und der Gutskapelle vorbei. „Für mich ist das ein weiteres Zeichen, um mich in Niendorf heimisch zu fühlen. Denn ich bin in der Nähe von Santiago de Compostella, dem Endpunkt des Jakobsweges, geboren und aufgewachsen.“

Jetzt ist Gelegenheit, Guillermo nach seiner Travemünder Skulptur ‚Der Auseinandersetzer‘ zu fragen. „Das ist eine lange Geschichte; die würde ein ganzes Buch füllen.“ Aber Guillermo hat Zeit. ‚Der Auseinandersetzer‘ wurde gestiftet von der Lübecker Hafengesellschaft und mehreren Reedern. Die Skulptur sollte 1992 ein Zeichen der Versöhnung setzten für die Beilegung der Streitigkeiten über den damaligen Ausbau des Skandinavienkais.

alte Mole Travemünde

Guillermo wusste recht schnell, wie er künstlerisch an die Aufgabe heran gehen wollte, und er hatte einen riesigen Dolomit-Marmor. Er begann mit seiner Arbeit, aber er musste auch einen Platz in Travemünde für die Aufstellung der Skulptur finden. Nach langer Suche kam die zündende
Idee: der ‚Auseinandersetzer‘ muss auf den Molenkopf der alten Nordermole.

Jetzt regte sich Widerstand in Lübeck; so ein exponierter Ort direkt an der Schiffseinfahrt – und dann eine Figur, die noch keiner kennt! Hält die Mole der Belastung von 4,5 Tonnen Marmor überhaupt Stand?

alte Mole Travemünde

Die fast 200 Jahre alte Travemünder Nordermole besteht aus tief eingerammten Eichenpfählen und daraufplatzierten großen Felsen, die von Travemünder Steinfischern vor dem Brodtener Steilufer mit Zangen aus dem Meer geholt worden waren.

Ein Zufall kommt Guillermo zu Hilfe. Ein Nachbar von ihm ist Fachmann für Molen, und es gibt noch die alten Pläne. Das Gutachten ist eindeutig:  die Molenkonstruktion kann noch etliche Tonnen aufnehmen.
Wie schafft man es, die Stadtverwaltung zu überzeugen? Damals konnten Entscheidungen in einer Senatorenrunde gefällt werden. Guillermo und sein Gutachter wurden eingeladen. Es gab starke Bedenken. Eine Skulptur direkt neben den Schiffen und überhaupt, die ganze Einfahrt wird verschandelt und die Skulptur ist viel zu groß!

Der „Auseinandersetzer“ Travemünde

Hier meldete sich Guillermo zu Wort: „Keiner von ihnen hat die Skulptur bisher gesehen. Als Künstler sage ich: das ist genau der richtige Ort.“
Der Bürgermeister Michael Boutellier schaffte es, die restlichen Kritiker zu überzeugen, und die Entscheidung wurde gefällt für diesen wunderbaren
Platz, an dem in Travemünde jeder Besucher vorbei kommt.

Der „Auseinandersetzer“ Travemünde

Dann im Juni 1992 können die Vorbereitungen auf der Mole beginnen. Da das Budget knapp ist, bohrt Guillermo selbst die Verankerung in das Fundament. Es ist windig und es staubt. Neugierige Spaziergänger fragen, was dort aufgestellt werden soll. Guillermo ruft: „Eine Skulpt….ur.“
Die Besucher freuen sich: „Ach, eine … Uhr; das ist ja prima“.

Der „Auseinandersetzer“ Travemünde

Die Enthüllung findet am 18. Juli 1992 statt. Viele Gäste und natürlich Bürgermeister Michael Boutellier begleiten die Zeremonie.

Der „Auseinandersetzer“ Travemünde

In dem Buch ‚Guillermo Steinbrüggen zwischen Atlantik und Ostsee‘ findet sich diese Betrachtung über den ‚Auseinandersetzer‘:
„In Travemünde auf der Nordermole trotzt eine Skulptur der Unbill des Wetters – dem Regen, der Gischt, wie auch den fragenden Blicken der Menschen, die auf der Nordermole zum äußersten Ende Lübecks wandern. Der ‚Auseinandersetzer‘ weist auf das Meer, das jahrhundertelang der Hansestadt Brot und Ansehen brachte. Gleichzeitig weist er jedoch auch auf die Stadt zurück, die sich „auseinandersetzt“ mit unterschiedlichsten Problemen, die ihre Vergangenheit mit der Zukunft zu verknüpfen sucht, um ihre Gegenwart zu meistern.“

Guillermo selbst erklärt sein Kunstwerk so:
„Der Auseinandersetzer hat die Augen geschlossen, weil er sich innerlich mit den Bauvorhaben (symbolisiert durch die beiden Steine) auseinander setzt.“

Der „Auseinandersetzer“ Travemünde

Nach 28 Jahren ist der ‚Auseinandersetzer‘ aktuell wie eh und je. Denn die Menschen müssen sich jetzt mit den neuen Großbauten rechts und links der Trave auseinandersetzen.

Vita von Guillermo Steinbrüggen

Guillermo Steinbrüggen

  • Guillermo (=Wilhelm) wurde 1952 in Vigo/Nordspanien geboren
  • Umzug 1965 nach Koblenz
  • Studium an der Hochschule der Künste in Berlin – Meisterschüler
  • Gleichzeitig tätig in Barcelona, Sevilla und Vigo
  • Weiterbildung als Steinmetz
  • Eigene Werkstatt in Vigo
  • Umzug nach Lübeck im Jahr 1985
  • 1987 bis 2016 Bildhauerwerkstatt auf dem Hof Kaninchenberg/Eichholz
  • Auftragsarbeiten für den öffentlichen Raum, Jugendarbeit
  • Große Ausstellung „Zwischen Atlantik und Ostsee“ im Burgkloster
  • Umzug nach Lübeck-Niendorf 2016

weitere Infos: www.steinbrueggen.de
E-Mail: info@steinrueggen.de
mobil: 0157 87025650

von Gunter Bokholt

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