Travemünder Häuser Nr. 86
Kurgartenstr. 143
Nicht immer reicht das Wissen um die Geschichte eines Hauses aus, hierzu ein Porträt in ausführlicher Weise zu verfassen.
Auf der anderen Seite wäre es schade, auf die Veröffentlichung dessen, was sich in Erfahrung bringen ließ, gänzlich zu verzichten.
Die Rede ist hier von dem Haus Kurgartenstraße 143, das sich in seiner vollen Länge an der Straße „Am Lotsenberg“ hinzieht.
Erschlossen wurden die Grundstücke Ende des 19.Jahrhunderts im Rahmen der Ortserweiterung und der neu angelegten „Neustraße“. Das Gebäude war also zunächst postalisch an der Ecke Hinterreihe/Neustraße zu erreichen. Beide Straßen wurden später umbenannt, die „Hinterreihe“ bereits 1903 in „Kurgartenstraße“, für die dort ansässigen Gewerbetreibenden, aber auch Anwohner eine echte Verbesserung, auch wenn das „Scoring“ noch nicht so bekannt war; die „Neustraße“ später wegen Namens-gleichheit mit einer Lübecker Straße in „Am Lotsenberg“. Hier mögen Sie sich fragen, warum denn Lotsenberg, besonders hügelig ist es hier ja nicht. Nach dem Schleifen der Zitadelle Travemünde, die ihre nördliche Begrenzung etwa in dem jetzigen Gebiet Am Lotsenberg/Kurgartenstraße hatte, beließ man einen Teil des Festungswerkes als Ausguck für die Lotsen, den „Lootsenberg“.
Der 1913 von der Kurverwaltung Travemünde herausgegebenen Broschüre über Kurort und Seebad Travemünde entnehmen wir, dass sich dort das „Hotel Goldschmitt“ befand, das im Angebot 35 Fremdenzimmer mit Konditorei und Café hatte, Zimmerpreis 2,50 bis 5,00 Mark pro Nacht, und die „Pension ohne Zimmer“ – offensichtlich Vollpension – weitere 5,50 Mark kostete. Dieses Hotel wurde später zum Hotel „Am Kurgarten“ umbenannt.
Mitte der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts wurde das Gebäude abgerissen und machte einem sehr monumental wirkenden Gebäude Platz. Auffällig war dabei die an der Ecke Kurgartenstraße/Am Lotsenberg angebrachte Statue. Das dann auf den Namen „Kurgartenhaus“ umbenannte Gebäude hat in der Folgezeit offensichtlich mehrere Funktionen wahrgenommen, nach dem mir vorliegenden Fotomaterial offensichtlich auch als Krankenhaus/Lazarett – näheres weiß ich leider nicht und nehme gerne Ergänzungen bzw. Korrekturen entgegen.
1944 soll die Fa. Schlichting das Haus für Lagerzwecke genutzt haben, auch als Schule soll es kurzfristig gedient haben.
Mit Kriegsende 1945 wurde es kurzfristig von der britischen Besatzungsmacht requiriert, aber bereits Ende 1945 statt des Marinewohnschiffes „Knurrhahn“ als erstes ziviles Krankenhaus mit 90 Betten nach dem Krieg in Betrieb genommen. Diese Funktion erfüllte das Kurgartenhaus bis 1948. Dann wurde das Krankenhaus auf den Priwall in die ehemaligen Wehrmachtskasernen verlegt, nachdem diese von den Briten freigegeben worden waren.
Das Gebäude wird 1949 von einem Herrn Lederer – Flüchtling aus Kolberg – übernommen und wieder als Hotel, zunächst weiter unter „Kurgartenhaus“, später unter dem Namen „Hotel Stockholm“ geführt (Abb.8).
1972 wurden Teile des Gebäudes zerstört, 1973 wird das alte Gebäude abgerissen, stattdessen entstand ein Wohnhaus, das sich heute noch an der Ecke Kurgartenstraße/Am Lotsenberg befindet und bei weitem nicht so massig wirkt wie sein Vorgänger. 1977 zog die „Alte Kunst“ in das Erdgeschoß ein, wobei die Fassade künstlerisch bearbeitet wurde. 1983 erwarb Siegfried Austel die Räumlichkeiten und richtete dort seinen Barbiersalon ein. Die alte Lotsenstatue befindet sich jetzt an der Lotsenstation an der Travemündung.
Für mich hat das Kurgartenhaus übrigens eine besondere Bedeutung: ich wurde dort 1946 geboren.
Rolf Fechner
Bildmaterial: Sammlung Rolf Fechner
PS: Über weitere Informationen zur Geschichte des Grundstücks und der Nutzung seiner Gebäude würde ich mich sehr freuen.
Nachtrag
Liebe Leserin, lieber Leser,
in der letzten UT 1/349 hatte ich das Haus „Kurgartenstr.143“ porträtiert, aber darauf hingewiesen, dass ich mich über weitere Informationen freuen würde, da mein Wissen um dieses Grundstück ‚eigentlich‘ nicht ausgereicht hätte, um ein ausführliches Porträt zu verfassen.
Dankenswerterweise hat Herr Peter Schlichting mir dazu weiteres Material mit folgenden Informationen überlassen:
Vor Kriegsbeginn diente das Kurgartenhaus als Erholungsheim der Berufskrankenkasse der kaufmännischen Angestellten, das allerdings nicht auf Vollverpflegung eingestellt war.
Im September 1939 übernahm die Schlichting-Werft für die Dauer des Krieges die Verwaltung des Kurgartenhauses. Dort wurden Eutiner und Fehmaraner Dienstverpflichtete untergebracht. Zunächst konnten sie allerdings nicht im Hause verpflegt werden, sondern mußten sich selbst versorgen.
Enorme Anstrengungen waren nötig, um die Verpflegung der Bewohner, die auf der Werft arbeiteten, zu gewährleisten. So mußte die Küchenanlage erheblich vergrößert werden. Die ursprüngliche Zahl von 40 zu versorgenden Hausbewohnern stieg rapide an. Zeitweise waren pro Tag 260 Essenportionen zuzubereiten und zum Priwall auf die Schlichting-Werft zu schaffen. Neben den warmen Mittagsmahlzeiten wurden auch die Frühstücks- und Abendbrotportionen im Kurgartenhaus vorbereitet.
Auf 200 000 Essensportionen konnte man 1942 zurückblicken. All dies geschah – kann man dem Nachrichtenblatt entnehmen – unter der Verantwortung von Fräulein Alberta Santner.
Rolf Fechner
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