Travemünder Häuser Nr. 82
Kaiserallee 2a
Ja, vereinzelt gibt es sie noch, die schönen Jugendstilhäuser, die nicht dem Abrißwahn zum Opfer gefallen sind.
Eines davon ist das „Hotel Atlantic“ in der Kaiserallee, das in diesem Jahr seinen 100. Geburtstag feiern darf.
Begonnen hat aber alles 1904 mit der Errichtung des „Strandhaus Becker“ an der Strandpromenade 7. Eigentümerin war Frau Helene Maerkert. Die nächste Umgebung muß man sich so vorstellen: Links, von der See aus gesehen, stand das „Strandhotel“, rechts das Konversationshaus, später „Hotel Fürstenhof“. Letzterer wurde Anfang der 60er Jahre abgerissen und durch einen Appartmentklotz ersetzt. Auch das „Strandhotel“ mußte in den 70ern einem Appartmentneubau weichen. Noch nicht existierte das spätere Kursaal/Casinogebäude.
Travemünde blühte auf, die Geschäfte gingen gut und so konnte Helene Maerkert, ohne auf eine Fremdfinanzierung angewiesen zu sein, im Jahre 1910 das „Strandhaus Becker“ Richtung Kaiserallee ausbauen. Konzipiert wurde der Bau durch den Travemünder Architekten Schmidt. Beide Hotelteile waren durch einen Mitteltrakt verbunden, der in seinem Obergeschoss das Restaurant (für die Erwachsenen) beherbergte. Die Küche befand sich im Untergeschoss.
Kinder hatten einen eigenen Kindersaal zum Essen. Eine gute Einrichtung, wenn man bedenkt, dass in den Restaurants viel und vornehmlich Zigarren, geraucht wurde.
Das Vorderhaus an der Strandpromenade war mit einem hübschen Turm versehen.
In einer Werbung aus dem Jahre 1912 heißt es:
Strandhaus Becker, Kaiserallee 2a, Besitzerin Frau H. Maerkert, geb.Becker:
Zahlreiche hohe, größere und kleinere Zimmer. Best eingerichtet. Teilweise mit Balkons.
Freie Aussicht auf das Meer. Vorzügliche Verpflegung.
Pensionspreise nach Übereinkunft. Vor- und Nachsaison bedeutende Ermäßigung.
Immer, wenn „besondere Züge“, also solche, die gut mit Urlaubern gefüllt waren, einliefen, wurde ein Hausdiener mit einer Kappe, die ihn als Bediensteten des „Strandhaus Becker“ auswies, zum Strandbahnhof geschickt.
Dort warb er dann um Kundschaft: „direkt am Strand gelegen, elektrisches Licht, Telefon, modernste Ausstattung“. Und die Kundschaft kam. Deren Koffer transportierte der Hausdiener vom Bahnhof zum nahe gelegenen Hotel. In den besten Zeiten hatte das Hotel im Sommer 30 Angestellte, verteilt auf Restaurant, Service und Küche.
In den letzten Monaten des 2. Weltkrieges diente das „Strandhaus Becker“ als Lazarett. Nach Kriegsende wurde das Hotel von der britischen Besatzungsmacht beschlagnahmt. Es wurden Flüchtlinge aus dem deutschen Osten eingewiesen. In ihrer Not hielten sie in einem Zimmer sogar Hühner.
Für ein paar Tage sollen dort auch Russen untergebracht worden sein. Wahrscheinlich handelte es sich um Zwangsarbeiter, also in der Regel Kriegsgefangene, die nach ihrer Freilassung auf den Transport in die Sowjetunion warteten. Bekannt war ihr Faible für deutsche Uhren.
Dann starb Helene Maerkert. Das Hotel wurde aufgeteilt: der an der Strandpromenade gelegene Trakt wurde von ihrem Sohn Georg und seiner Frau Helma unter dem Namen „Strandhaus Becker“ fortgeführt. Die in der Kaiserallee gelegene Hotelanlage erbte Georgs Schwester Lilly. Sie führte es aber nicht selbst, sondern verpachtete es. Mit den ersten Pächtern hatte Lilly Pech: trotz klingender Namen wie „Hotel Imperial“ und „Kaiserhof“ (nebenan war ja der „Fürstenhof!“) wechselten die Pächter des öfteren.
So pachteten Helma und Georg auch das an der Kaiserallee gelegene Gebäude und führten das Hotel wieder als eine Einheit. Die Verbindung durch den Mitteltrakt – die zuvor unterbrochen worden war – wurde wieder hergestellt. Der Eingang des Hotels, der sich zunächst an der Seite befand, wurde 1956 an die Kaiserallee verlegt.
In der Sommersaison konnte das Ehepaar Maerkert bis zu 100 Gäste pro Nacht verzeichnen. Viele davon waren Künstler, die in der „Belle Epoque“ im Casino auftraten. Diese blieben in der Regel 14 Tage, bis das Programm wechselte. Davon zeugen auch heute noch zahlreiche Fotos in der Eingangshalle des jetzigen Hotels „Atlantic“.
Berühmt war auch das Eis der Familie Maerkert: jeweils ein Eisstand an der Promenade und der Kaiserallee mit hausgemachtem Eis lockte große und kleine Kunden.
Dann trennte sich das Ehepaar Maerkert. Georg Maerkert behielt das Haus an der Strandpromenade, das er später allerdings verkaufte und jetzt den Namen „Strandschlösschen“ führt. Auch Lilly Maerkert verkaufte das Gebäude Kaiserallee 2a an eine Familie Richter, diese wiederum an eine Frau Herr.
1984 erwarb die heutige Inhaberin Gabriela Ibl, eine gebürtige Travemünderin (geboren in dem, dem Maritimkomplex zum Opfer gefallenen, Haus „Marienlust“) das Hotel Kaiserallee 2a. Dieses hatte mittlerweile den Namen „Atlantic“ erhalten, den es auch jetzt noch führt.
Der Verkauf an Frau Ibl rief allerdings auch die Abteilung Brandschutz auf den Plan. Zur Auflage wurden Trennwände und umfangreiche Brandschutzanlagen im Treppenhaus gemacht. Konsequenz dessen war aber, dass diesen Maßnahmen das herrliche, im italienischen Stil gehaltene, Treppenhaus weichen musste.
Gabriele Ibl führte umfangreiche Renovierungsarbeiten durch, die in Inneneinrichtungen, aber auch Fenstern stilgerecht die Bäderarchitektur adaptieren.
Das Hotel verfügt über 30 Zimmer mit 60 Betten und wird als Hotel garni geführt. Es ist ganzjährig geöffnet.
Ein umfangreiches Gästebuch sowie eine reichhaltige Bildergalerie zeigen, wie wohl sich die Gäste fühlen. Beeindruckend ist die Zahl der Prominenten, die sich dort verewigt haben. Die Tradition des Ehepaars Maerkert, Künstler des „Belle Epoque“-Programms zu beherbergen, wurde von Gabriele Ibl fortgesetzt. Es sind bestimmt um die hundert, so dass ich nur einige nennen möchte:
Roy Black (der oft zu Gast war), Peter Kraus, Ireen Sheer, Lena Valaitis, Tony Christie, Dunja Rajter, Bill Ramsey. Auch Künstler, die im „Literatisch“ des Casino auftraten, wie Karl-Michael Vogler oder Kabarettisten wie Wolfgang Gruner zählten zu den zufriedenen Gästen des Hotel „Atlantic“, wie das umfangreiche Gästebuch ausweist.
Frau Ibl kann nunmehr auf 25 Jahre zurückblicken, in denen sie das Hotel leitet. Wenn sie diese Zeit Revue passieren lässt, fallen ihr natürlich etliche Geschichten mit ihren prominenten und weniger prominenten Gästen ein:
Roy Black gehörte zu ihren absoluten Lieblingsgästen: er konnte den gesamten Frühstücksraum mit seinem Charme unterhalten. Zu den Antialkoholikern gehörte er allerdings nicht …
Das Smokinghemd von Vico Torriani wurde beim Bügeln leider versengt – gottseidank nur auf dem Rücken – er hatte nur das eine mit …
Mit Rex Gildo wurde die ganze Nacht durch gefeiert, Rocco Granata flirtete wie der Teufel und Ireen Sheer genehmigte sich vor jeden Auftritt einen Cognac, um das Lampenfieber zu bekämpfen.
Auch Nichtprominente bescherten Frau Ibl unvergessliche Erlebnisse:
wie die beiden alten Damen, die 3 Wochen gebucht hatten, sich bei der Anreise sehr freundlich gaben, aber von Tag zu Tag bedrückter wirkten. Sie hatten das innen an der Zimmertür hängende Schild „Bitte Zimmer aufräumen“ auf sich bezogen und putzten und wienerten das Zimmer jeden Tag. Trotz ihrer Mühe würde das Schild jeden Tag wieder an ihrer Zimmertür hängen.
Als Frau Ibl dann das Schild umdrehte, erschien die Aufschrift „Bitte nicht stören“. Darauf reagierten die beiden alten Damen betrübt: noch leiser könnten sie nicht sein. Letztlich gelang es Frau Ibl, alle Unklarheiten zu beseitigen, so dass die beiden Damen nunmehr ihren Urlaub zweckgemäß genießen konnten.
Auch Frau K. aus Hamburg ist erwähnenswert: regelmäßig wollte sie die Haustür und das Hotelzimmer mit ihren eigenen Schlüsseln aufschließen und war sehr ungehalten, dass im Hotel „ständig“ die Schlösser kaputt seien. So muß man schon wie Frau Ibl mit Leib und Seele Dienstleisterin sein, sonst ist man fehl am Platze.
Also, liebe Frau Ibl, herzlichen Glückwunsch zum 100.Geburtstag Ihres Hotels und zu mehr als 25 Jahre erfolgreicher Hotelleitung. Ich wünsche Ihrem Haus sowie natürlich auch Ihnen persönlich und Ihrem Lebensgefährten, dem Architekten Albert Hoff, alles Gute.
Ich danke Frau Helma Maerkert, Frau Gabriele Ibl und Herrn Albert Hoff für die Informationen, die maßgeblich dazu beitragen, dass die Geschichte des Seebads Travemünde nicht in Vergessenheit gerät.
Rolf Fechner
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