Travemünder Häuser Nr. 77
Godewind 2
Es gibt nicht mehr viele alte Häuser, die den Godewindpark säumen. Auch das heute beschriebene Objekt wäre fast der Abrißbirne zum Opfer gefallen. Aber der Reihe nach:
Anfang des 20. Jahrhunderts entstanden die ersten Gebäude an den gerade erst hergestellten Parkanlagen mit den künstlich angelegten Teichen, die einen Teil der Villenkolonie „Neu-Travemünde“ darstellten. Der bekannte Berliner Architekt Hermann Muthesius hatte hatte bereits die „Felsenvilla“, die erst später den etwas martialischen Namen „Felsenburg“ erhielt, im Godewind 3 geplant.
Wer der Architekt des Nachbargebäudes Godewind 2 war, ist leider nicht mehr eindeutig zu klären (die entsprechenden Unterlagen sollen während des Bombenangriffs auf Lübeck an Palmarum 1942 verloren gegangen sein), es ist aber denkbar, dass Muthesius auch für die Planungen für das Gebäude Godewind 2 verantwortlich war.
Gebaut wurde es 1908 von einer Familie Alexander aus Berlin als Sommerhaus. Die Grundstücksfläche beträgt 1.100 qm, die Wohnfläche beträgt derzeit nach mehreren Umbauten ca. 240 qm.
Sowohl die Namen des Hauses als auch die Eigentümer haben des öfteren gewechselt. Während gesichert ist, dass das Gebäude zunächst „Albertine“, dann „Elisabeth“ und ca. 1921 „Olga“ hieß, also immer nach Frauen benannt wurde, firmierte es später unter „Haus am Park“.
Die nachfolgenden Angaben zu den Eigentums- und Nutzungsverhältnissen sind leider nicht erschöpfend und sonderlich präzise, genauere Angaben waren von mir aber leider nicht zu ermitteln. Vielleicht weiß eine der Leserinnen oder einer der Leser mehr.
Nach der Familie Alexander wurde die Familie Weber ca. 1920 Eigentümer. Inwieweit weitere Personen Eigentum erwarben, konnte ich nicht mehr aufklären. Gewohnt haben soll dort eine Familie Strauss, später Kleemann und Schau. Betrieben wurde wohl auch immer in der Zeit eine Pension, u.a. von einer Frau Gertrud Otto.
Genutzt wurde das Haus ab Mitte der dreißiger Jahre von der E-Stelle für ihre Mitarbeiter, für die das Haus mit drei neu geschaffenen Wohnungen versehen wurde. Die vorwiegend auf dem Priwall ansässige E-Stelle benötigte für ihre Mitarbeiter aber immensen weiteren Wohnraum, der unter anderem am Achterdeck und Leegerwall geschaffen wurde. Mit dessen Fertigstellung zogen die Mitarbeiter der E-Stelle in diese Häuser.
Bis 1948 hat dann das Pensionärsehepaar Dampke dort gewohnt. Ende der 50er Jahre erwarb das Ehepaar Martha und Karl Knoop das Gebäude, um es selbst und mit Sohn Kurt Knoop nebst Familie bis Mitte der 60er Jahre zu beziehen.
Vorletzter Eigentümer war Dr. Heinz Lommerzheim, seinerzeit Direktor des 1949 wieder zugelassenen Casinobetriebes. Einer seiner Langzeitmieter im Obergeschoss des Hauses war Karl Pruckner, angesehener Musiker im Casino.
Von Dr. Lommerzheims Erben erwarben Angelika und Gerd Schön das Gebäude. Vorgesehen war zu der Zeit von Dr. Lommerzheim, auf dem Gelände des Godewind 2 eine Seniorenanlage zu errichten. Erst im Mai 1992 erteilte das Lübecker Amt für Denkmalpflege dieser Absicht eine Absage. Das Gebäude Godewind 2 sei ein eingetragenes Kulturdenkmal im Sinne von §5 Denkmalschutzgesetz Schleswig-Holstein. Das Schreiben des Amtes führt dazu aus:
„Es handelt sich um einen sachlichen, aber dennoch ausdrucksstarken Villenbau aus dem ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts mit in weiten Teilen erhaltener Original-ausstattung und ursprünglichem Erscheinungsbild, …
Godewind 2 (ist) das letzte Zeugnis der ursprünglichen Bebauung an dieser prominenten Stelle gegenüber dem Godewindpark.
Der Abbruch des Kulturdenkmals von besonderer Bedeutung würde den Verlust eines künstlerisch wertvollen Gebäudes und eine schwere Beeinträchtigung der städtebaulich-historischen Situation bedeuten. Der Abbruch kann daher nicht genehmigt werden.“
So konnte dann das Amt für Denkmalpflege erfreut im Juni 1992 feststellen, dass Gerd Schön das bereits zum Abriß vorgesehene Gebäude erwirbt, um es als Einfamilienhaus zu sanieren. Dieser Sanierung stimmte das Amt unter denkmalschutzrelevanter Auflagen zu.
Die Maler- und Fassadenarbeiten führte die Firma Hargus in den Jahren 1993/94 durch. Anläßlich dieser Tätigkeiten machte der Geselle Karl-Heinz Sifferlin eine erstaunliche Entdeckung. Bei der Aufarbeitung der im Bauhausstil gebauten Flurtür fand er einen Zettel, der von einem Maler 1934 bei dem seinerzeitigen Umbau in das Furnier geschoben worden war. Auf diesem Zettel befand sich der Name des damals tätigen Malers, der Karl-Heinz Sifferlin sogar bekannt war.
Das Ehepaar Schön bemühte sich bei seiner Sanierung, möglichst viel der ursprünglichen Identität, die teilweise bei den Umbauten der vergangenen Jahrzehnte abhanden gekommen war, wieder herzustellen, wie z. B. Fliesen und Fenster, Türen und Beschläge.
Die Familie Schön bewohnt das Haus bis zum heutigen Tage, es erscheint ihr aber jetzt, wo die Kinder erwachsen und aus dem Haus sind, zuweilen als fast zu groß. Aus diesem Grund hat die Familie Schön das Haus im August 2008 verkauft.
Fällt Ihnen übrigens an der Straßennummerierung etwas auf? Normalerweise werden die Hausnummern aufsteigend nach der Entfernung zum Zentrum vergeben, beim Godewind ist es umgekehrt: die höheren Nummern sind zentrums- (hier Strandbahnhofs-)nah, die niedrigen beginnen am Achterdeck. Vielleicht kennt einer der Leserinnen oder Leser den Grund.
Rolf Fechner
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