Travemünder Häuser Nr. 75
Vorderreihe 42
Zum dritten Mal in Folge möchten wir ein Haus in der Vorderreihe porträtieren, nach der Nr. 1 und Nr. 59 jetzt die Nr. 42. Das liegt auch daran, dass die jetzigen Bewohner/ Inhaber an uns diesbezüglich herangetreten sind. Sollten Sie ebenfalls ein Porträt Ihres Hauses „für die Nachwelt erhalten“ wollen, setzen Sie sich bitte mit mir in Verbindung.
Rolf Fechner
Das Gebäude Vorderreihe 42 wurde um das Jahr 1850 dreigeschossig errichtet. Es verfügt oberhalb des Erdgeschosses über – wie es baulich Sitte war – eine Veranda. darüber befindet sich das Mansardendach mit einem Treppengiebel.
Wahrscheinlicher Bauherr und erster Eigentümer war Senator Evers, der das Haus als großzügiges Wohnhaus mit daran anschließendem Kutscherhaus in der Hinterreihe (jetzt Kurgartenstrasse) 78 genutzt hat.
Im Jahre 1913 kaufte der Zigarrenmacher Johann Schulz, der Großvater von Wolfgang Schulz, das Haus für 30.000 Reichsmark, allerdings ohne das dahinter liegende Kutscherhaus in der Hinterreihe/Kurgartenstrasse. Im Grundbuch wurde jedoch dem jeweiligen Eigentümer des Gebäudes Vorderreihe 42 ein Eigentumsrecht an dem seitlichen Gang zwischen Vorderreihe und Kurgartenstrasse eingeräumt. Somit hatte man einen größeren und damit äußerst wichtigen Zugang zur Kurgartenstrasse, der Zugang über die Vorderreihe besteht nämlich lediglich aus einem sehr schmalen und nur für Personen nutzbaren Gang. Dem Eigentümer der Kurgartenstrasse wurde das Recht eingeräumt, den Gang zu Fuß zu benutzen und mit einem Handkarren zu befahren.
Johann Schulz wurde 1874 im nahen Barendorf (Mecklenburg) auf dem Hof Barendorf als zweiter Sohn des Kutschers Friedrich Schulz geboren. Er zog bald nach Hamburg und erlernte dort den Beruf eines Zigarrenmachers.
Da das Geschäft mit Zigarren und sonstigen Tabakwaren florierte, war er bald Inhaber einer kleinen Fabrik mit zeitweise 20 Angestellten. Er heiratete seine Luise, geb. Rudolph und im Jahre 1898 wurde der Sohn Jonny, an den sich sicherlich viele Travemünder erinnern werden, geboren. Nach dem frühen Tod von Luise heiratete er Anna, geb. Treptow, eine Nichte des Politikers und späteren Außenministers Gustav Stresemann.
Mit ihr zog er nach Erwerb des Hauses Vorderreihe 42 von Hamburg nach Travemünde und eröffnete ein Tabakwarengeschäft. Zu dieser Zeit lagen die Ausflugsschiffe Möve, Sturmmöve und Silbermöve (die sog. Krohn’sche Flotte) an den noch hölzernen Anlegestellen (der Ostpreussenkai existierte noch nicht!) praktisch vor der Tür des Hauses Vorderreihe 42, so dass für nicht nur einheimische Kundschaft gesorgt war.
Einer, der sich noch gut erinnern kann, ist unser wohlbekannter Otto Timmermann, der als kleiner Junge die bestellten Tabakwaren mit zum Hof Barendorf nahm. „Mein Lohn war stets ein Groschen und für meinen Vater drei Zigaretten“, weiß er heute noch zu berichten.
In den ersten Jahren nach Kriegsende befand sich das Haushaltswarengeschäft Karl Meyer, genannt Pottmeyer, im Haus.
Als Johann Schulz 1958 verstarb, bezogen Sohn Jonny mit seiner Ehefrau Else und Sohn Wolfgang (geboren 1947) das Haus in der Vorderreihe 42. Während das erste Stockwerk der eigenen Familie vorbehalten blieb, wurden die unteren Räume zu zwei Ladenlokalen umgebaut. Leider war das Objekt im Laufe der Zeit ziemlich heruntergekommen, sodass Else und Jonny Schulz zunächst die wichtigsten Reparaturen verrichteten.
In die neuen Geschäftsräume zogen verschiedene Firmen ein: zunächst das Schuhgeschäft Dörres, später Schnellimbiss Dörres, die Firma Gerstel mit den Cytra Booten. Seit fast 30 Jahren ist Bernstein-Schreiter, jetzt Silberstudio,präsent sowie seit ein paar Jahren das Damenmodegeschäft Duval.
Es war wohl der maritime Charakter, der Stuck an den Decken und die interessante Aussicht, die ihn, den in Travemünde bekannten pensionierten Kapitän Max Mai, in den 50er Jahren als Dauermieter so sehr faszinierten.
Neben dem Dauermieter diente das Haus in den fünfziger und Anfang der sechziger Jahre in den Sommermonaten auch als Pension: Grund waren die zahlreichen schwedischen Gäste, die mit den Fährschiffen „Drottning Viktoria“ und „Konung Gustav V“ von Trelleborg nach Travemünde reisten, um hier Urlaub zu machen. Beide Fährschiffe legten dem Gebäude gegenüber am Ostpreußenkai an, was auch den zuständigen schwedischen Reiseleiter Göte Stensler bewog, seinen „Sitz“ in der Vorderreihe 42 zu nehmen, um bei der An- und Abreise immer am Ort des Geschehens zu sein.
Nach dem Tode der Eltern (Jonny 21.4.1982 und Else 30.3.1993) haben Wolfgang und seine Ehefrau Rita unter großem Kostenaufwand und viel „Schweiß und Mühe“ und viel Liebe zum Detail das Haus von Grund auf saniert:
Das großzügige Treppenhaus mit dem Fächertreppengeländer erstrahlen wieder in neuem Glanz, sämtliche Fenster und Türen wurden aufgearbeitet oder erneuert, der Innenhof wurde total neu gestaltet. Äußerlich vervollkommnet die neue Fassadengestaltung das Gebäude.
Möge das Haus 42 in der Vorderreihe noch lange in Familienbesitz bleiben. Die vierte Generation, Torsten Schulz mit Ehefrau Melanie und drei Kindern gibt dazu Hoffnung.
Dieser Artikel hätte nicht verfasst werden können ohne Mithilfe und Recherche von Christa Kriesel, geb. Schulz, die jetzt in in ihrem ehemaligen Elternhaus in Dassow lebt und Otto Timmermann, denen an dieser Stelle ein herzlicher Dank ausgesprochen werden soll.
Wolfgang Schulz und Rolf Fechner
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