Travemünder Häuser Nr. 60
Torstraße 1
Raiffeisenbank Travemünde
Wer die Raiffeisenbank Travemünde eG in der Torstraße sucht, wird sie als Fremdling nicht gleich finden, der alte Bankkunde aber weiß natürlich Bescheid und geht durch die Toreinfahrt, die ganz früher als Zufahrt für die Pferdegespanne zum Wirtschaftgebäude des alten Travemünder Gesellschaftshauses, das leider im Vorjahre seinen gastlichen Betrieb einstellen mußte, diente. Das Grundstück wurde auf seiner Rückseite noch in den dreißiger Jahren vom Traveufer begrenzt, so daß die Fischer ihre frisch gefangenen Fische gleich in der Küche der Gaststätte abliefern konnten. Wegen der militärischen Vergrößerung der Erprobungsstelle der Luftwaffe mußte die Trave ausgebaggert werden, und mit dem Baggergut wurde ein Teil der Siechenbucht und der Trave aufgefüllt. So entstand 1937 die Straße Auf dem Baggersand mit ihren für die E-Stelle vorgesehenen Wohnhäusern, über die wir in einem späteren Portrait dieser Reihe noch berichten werden.
Das Gesellschaftshaus, Travemündes älteste Gaststätte, gehörte seit 1788 der Familie Kröger, die in diesem Hause neben der Gaststätte noch ein Geschäft für Lebensmittel und Haushaltsbedarf betrieb. Die Travemünder Liedertafel und der Gemeinnützige Verein zu Travemünde waren hier seit ihrer Gründung 1843 bzw. 1848 zu Hause. Heute gehört das gesamte Grundstück der Raiffeisenbank Travemünde eG, und damit sind wir endlich bei unserem vorgesehenen Thema.
Nach dem Krieg 1945 gab es in Travemünde zwei Geldinstitute, die Handelsbank zu Lübeck und die Spar- und Anleihekasse Lübeck. Mit dem Sparkassengesetz von 1958 wurde der Name dieses Geldinstitutes von Spar- und Anleihe-Kasse in Sparkasse zu Lübeck geändert. Diese Kasse wurde 1850 vom Gemeinnützigen Verein zu Travemünde, also von Travemünder Bürgern, als Sparcasse zu Travemünde als selbständiges örtliches Geldinstitut gegründet und erst im Jahre 1937 von der Spar- und Anleihe-Kasse, der heutigen Sparkasse zu Lübeck, zwangsweise übernommen.
Neun Jahre nach dem Kriegsende 1945 am 5. Mai 1954, also vor 50 Jahren gründeten Travemünder Bürger und Landwirte aus der näheren Umgebung eine neue Sparkasse, also fast 100 Jahre nach der Einrichtung der Sparcasse zu Travemünde, und nannten sie Spar- und Darlehenskasse eGmbH mit Sitz in Travemünde.
Es gehört schon eine gewaltige Portion Mut dazu, so relativ kurz nach dem Kriege, sechs Jahre nach der Währungsreform und bei einem zarten Beginn eines wirtschaftlichen Aufschwungs, der zehn Jahre später als „Wirtschaftswunder“ in die Geschichte eingehen sollte. Vornehmlich die Landwirte, aber auch Fischer und Handwerker benötigten ein Finanzinstitut, über das sie kurzfristig und ohne großen Verwaltungsaufwand ihre Geldgeschäfte abwickeln und günstige Kredite in Anspruch nehmen konnten. Die Spar- und Darlehenskasse war eine Genossenschaft, in der Struktur einem Verein ähnlich. Sie wurde also von ihren Mitglieder getragen, die aus ihren Reihen einen Vorstand wählten und einen Aufsichtsrat. Die Genossenschaft begann 1954 mit 17 Mitgliedern, die als Vorstand die Landwirte Walter Frähmke aus Ivendorf, Hans Drenckhan aus Ovendorf und Emil Burghardt aus Dummersdorf wählten. Der Aufsichtsrat bestand aus den Landwirten Germanus Woermann aus Wilmsdorf, Karl Gros aus Brodten, und dem Kaufmann Gustav Degner-Böning aus Herrenwyk. Die Mitglieder können Anteile erwerben und sind damit den Anteilen entsprechend „Besitzer“ der Sparkasse. Herr Woermann wurde mit 15 Anteilen ab 23. Oktober 1954 erstes Mitglied. Die Anteile wurden zum späteren Zeitpunkt übertragen, so daß das älteste bestehende Mitglied seit dem 3. Februar 1956 der Fischerei-Verein Travemünde ist.
Im Gründungsjahr zählte die Genossenschaft 17 Mitglieder. Zehn Jahre später war ein Zuwachs auf 135 zu verzeichnen, und zu Beginn des Jahres 2004 zählt die Raiffeisenbank rund 1.400 Mitglieder und viele zufriedene Kunden, die ihre Geldgeschäfte der Bank anvertrauen.
Die ersten Geschäftsräume mietete die Spar- und Darlehenskasse im Haus Torstraße 1. Neben den traditionellen Bankgeschäften betrieb die Kasse noch einen florierenden Landhandel, der lange Zeit von den vielen Travemündern bekannten und geschätzten Fritz Meyer geleitet wurde. Der Chronist hat bei ihm noch seine Winterkartoffeln gekauft. Er benötigte damals noch für seine Familie sieben Zentner. Manchmal begleitete er Fritz Meyer im Sommer bei Gängen durch die erntereifen Getreidefelder, wo er die Qualität prüfte. Dieser Landhandel wurde 1989 eingestellt.
Am 1. Januar 1978 wurde aus der Spar- und Darlehenskasse die Raiffeisenbank Travemünde e.G.
Friedrich Wilhelm Raiffeisen (*30.03.1818, † 11.03.1888) gründete 1872 wegen der Notlage der bäuerlichen Bevölkerung auf Vereinsbasis das landwirtschaftliche Genossenschaftswesen auf dem Wohltätigkeitsprinzip, das sich später über die Grenzen Deutschlands hinaus zu den heutigen Kreditgenossenschaften entwickelte. Trotz dieser Verbundenheit behielt die Travemünder Genossenschaftsbank ihre vollkommene Eigenständigkeit und ist damit die einzige selbständige Bank in Travemünde.
Trotz notwendiger Umbauten und Erweiterungen im Kröger’schen Hause reichten die Räumlichkeiten für einen modernen Bankbetrieb nicht mehr aus, sodaß man sich entschloß ein neues zeitgemäßes Bankhaus zu bauen. 1989 hatte man die Immobilie Jahrmarktstraße 23 und Torstraße 1 erworben, so daß ein Baugrundstück sozusagen auf dem Hinterhof des alten Gebäudes zur Verfügung stand. Der Vorstand beauftragte die Lübecker Architekten Oldenburg und Thöl mit der Planung und Bauleitung des neuen Hauses, und damit beginnt eigentlich erst das richtige Portrait des Gebäudes auf dem Titelbild dieser UT-Ausgabe. 1994 entstand nach einjähriger Bauzeit das derzeitige neue Bankgebäude, und wir können zum 10-jährigen Geburtstag herzlich gratulieren.
Nach zehn Jahren wächst auch ein Kind aus seinen Kleidern, und so waren auch bei dem Bankgebäude Renovierungs- und Erweiterungsarbeiten notwendig. Da das Gesellschaftshaus 2003 geschlossen wurde, konnten im ehemaligen Kegelbahnbereich mit den Erweiterungsarbeiten begonnen werden. Die Kunden bemerkten von diesen Aktionen noch nicht sehr viel, da eine Schutzwand diesen Bereich abschottete. Der dann notwendige Durchbruch erfolgte in Etappen, so daß die durch den Baulärm hervorgerufenen Belästigungen sich auf einen Monat beschränkten. Die renovierte Kundenhalle zeigt, daß die kundenfreundliche Gestaltung nicht im Widerspruch zu den sicherheitstechnischen Anforderungen stehen muß. In der Halle selbst findet man neben dem direkten Servicebereich diverse neue Beratungsräume.
Wie für eine Genossenschaftsbank selbstverständlich, wurden bei dem dreimonatigen Umbau, sofern es den Firmen möglich war, heimische Unternehmen berücksichtigt.
Wir gratulieren auch zu diesem zehnjährigen Geburtstag des Hauses, das sich nach den Renovierungsarbeiten neu präsentiert und wünschen der Raiffeisenbank Travemünde e.G. weiterhin viel Erfolg, auch zum Wohle Travemündes.
Helmuth Wieck
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