Travemünder Häuser Nr. 46
St.-Jürgen-Straße Nr. 5
Das Haus Nr. 5 steht für eine Vielzahl von Gebäuden, die fast alle gleich aussehen, oder nach 65 Jahren Lebenszeit durch einige Modernisierungen, Erweiterungen oder Verschönerungen noch ziemlich ähnlich sind wie eineiige Zwillinge.
Wir befinden uns in dem ältesten Teil der „Teutendorfer Siedlung“, nämlich in der St. Jürgen Straße. Ursprünglich hieß dieser neue Stadtteil schlicht „Siedlung Travemünde“ oder auch „Travemünder Siedlung am Teutendorfer Weg“.
Heute besteht dieser Ortsteil aus mehr als 1000 Wohneinheiten, und ist damit der größte geschlossene Wohnkomplex Travemündes mit einer interessanten Geschichte und Entwicklung.
Ich befinde mich im Augenblick im Hause St. Jürgen Str. 5 bei Jürgen Meier, dem 1. Vorsitzenden der Siedlergemeinschaft Travemündes und seiner Frau. Es ist gemütlich hier.
Die Zimmer sind nicht groß, aber für das Ehepaar Meier reicht das Raumangebot. Früher wohnten in den Siedlungshäusern kinderreiche Familien, und die waren glücklich über ihr Haus mit Garten und Stallgebäuden für Hühner, Kaninchen und anderes nützliches Getier.
Jürgen Meier blättert in den beiden dicken Bänden der Chronik von 1935 bis 1999, die er zusammengestellt hat.
Vor 65 Jahren wurden die ersten Spatenstiche und Schaufelwürfe getan. Die „Ursiedler“ aus den ersten Bauabschnitten waren Baumeister und Handwerker zugleich und haben ohne Maschinenhilfe in Gemeinschaftsarbeit die Baugruben für die Keller und Fundamente ausgehoben. Beton und Mörtel wurden an Ort und Stelle mit der Schaufel gemischt. Das war Knochenarbeit. Das Baumaterial soll zum großen Teil aus zweiter und dritter Wahl bestanden haben, um Geld zu sparen, und damit waren die Häuslebauer nicht gerade üppig ausgestattet.
Beim Studieren der Chronik war mir sofort klar, dass ich für dieses Hausportrait mindestens noch eine Fortsetzung im nächsten UT benötige, weil die Teutendorfer Siedlung aus mehreren Haustypen besteht, die auch noch vorgestellt werden sollen. Heute soll die Vorgeschichte dargestellt werden, die zum Entstehen dieser Siedlung geführt hat.
Wir zitieren Johannes Koch, der 1975 1. Vorsitzender der Siedlergemeinschaft war und zum 40. JUBILÄUM schrieb: „Unsere Siedlung hat ihren Ursprung in der Einrichtung der „E-Stelle“ (Erprobungsstelle der Luftwaffe) auf dem Priwall, für die damals sprunghaft entwickelte militärische und zivile Luftfahrt. Für die vielen dort tätigen Spezialarbeiter und Techniker musste Wohnraum geschaffen werden, was zwischen 1935 und 1942 in dem Gebiet jenseits der Bahnlinie am Teutendorfer Weg in drei Bauabschnitten geschah. Die Grundstücke des ersten Bauabschnittes hatten nur die geringe Größe zwischen 650 und 800 qm. Die Siedlungshäuser hatten im Erd- und Dachgeschoß zusammen nur die bescheidene Grundfläche von ca. 53 qm, 6 qm waren unterkellert. Die gesamte Wohnfläche, einschließlich Boden und Treppenflur betrug ganze 68 qm! Dazu kam auf dem Hof ein Stall für Kleintiere.“
Interessant für den Leser dürften viele der alten Straßenbezeichnungen sein, die aus dem Sprachschatz der Fliegerei stammten oder die Namen bekannter Fliegerpersönlichkeiten trugen. Die britischen Besatzungstruppen wollten aber keine Straßennamen, die an die Luftfahrttradition Travemündes erinnern könnten, und ersetzten sie nach 1945 kurzerhand durch unvergängliche Bezeichnungen. Wir nennen Ihnen hier die ursprünglichen Namen und wie die Straßen jetzt heißen:
Propeller – Teutenbrink
Tragfläche – Kumulusstraße
Höhensteuer – Sonnenau
Tiefensteuer – Hornkamp
Seitensteuer – An der Bäk
Brise Straße – Nikolaistraße
Richthofen Ring – Rönnauer Ring
Jodelbauer Straße – Am Krautacker
Christiansen Straße – Lindwurmstraße
Kurt-Hermann-Straße – Mollwostraße
Die Wiborgstraße und die Bölckestraße am Friedhof hatten die Engländer übersehen. Sie erinnern heute noch an zwei Fliegerpersönlichkeiten.
Helmuth Wieck
In seinen Buch „Otto Timmermann erinnert sich… Geschichten aus dem alten Travemünde“ schrieb Otto Timmermann zum 50.Geburtstag der Siedlung am 21. September 1985 folgenden Bericht, der sehr anschaulich die Vorgeschichte dieses Stadtteils beschreibt.
50 Johr Siedlung „Teutendorfer Weg“
Fierstünn an’n 21.September 1985
De Welt is rein so sachten,
As leeg se deep in’n Droom;
Man hört nie Ween’n noch Lachen,
’S liesen as een Boom.
Se snackt man mang de Bläder,
As snack een Kind in’n Slaap,
Dat sünd de Wegenleder
Vör Köh un stille Schaap.
Nu liggt dat Dörp in’n Dunkeln,
Un Nevel hangt dorför,
Man hört man eben munkeln,
Als keem’t vun Minschen her.
Man hört dat Veeh in’t Grasen,
Un allens is in Fred,
Sogar een schüchtern Hasen
mi vör de Fööt.
Das wull de Himmelsfreden
Ahn Larm un Striet un Spott,
Dat is een Tiet to’n Beden-
Hör mi, du frame Gott!
Ja, miene leeven Frünn ut de Siedlung, so wär dat vör föftig Johr, genau so wie dat in dit Gedicht beschreeben is, so wär dat, rein un sachten. Man hörte dat Veeh wohl grasen un allens wär in Freeden, eben vör föftig Johr. Veeles hett sick verännert in de Tiet, allens is anners worden, eben ganz anners, as de ersten Hüser dor baben in de Siedlung entstünnen.
Dat Gelände Teutendörper Siedlung oder Teutendörper Weg oder noch beeder Teutendörper Barg, wär mit de Bevölkerung vun Tramünn up dat Engste verbunnen. Twee Dinge speelten in dat Leben vun de Tramünner eene grote Rull, dat wär eenmal dat Land, dorvun ernährten sick de Minschen hier, un dat tweete is, as 1872 de grote Sturmflut över Tramünn hinwegfegte, dor wär de Teutendörper Barg de letzte Toflucht för de Minschen ut Tramünn, un tatsächlich is ja ok hier dat Water ton stahn kommen. Man süht also, Tramünn un Siedlung sünd eng miteenanner verbunnen un de een is ahn den annern nix. Doch nu hör to!
Wat för Berlin de Kurfürstendamm, wat för Hamborg de Mönkebergstraat un Lübeck de Breede Straat, dat is för de Siedlung de Teutendörper Weg. Un all de Straaten, de ick hier eben optellt heff, de hebbt ok fröher nich anners utsehn, as de Teutendörper Weg för föftig Johrn. Eben ok bloß een „Landweg“.
Wenn ick as Jung mit de Kaffeekruk un den Stutenkorf den Teutendörper Weg hoch güng, üm miene Öllern na de tweete Preesterkoppel den Kaffee natobringen, dann sä dat hier anners ut as hüüt. Rechts vun den Bahndamm bit an de Koppel vun Plötze güng grad dörch een Knick un dörch de Knickgüngen de Hecklöcker, üm op de Länderien, de ja vun den lütten Mann vun de Kirch pacht wärrn, roptokamen.
De Lüüd sän damals: Wie hebbt een Schepel Saat pacht. Ick meen, dat wär wohl ungefähr een Morgen, aver so ganz genau Land, wat se pacht harrn, mit Kartüffeln un Röben bebuut. Kartüffeln för de eegen Ernährung, aver ok för Koh un Swien. Welk harrn ok een beeten mehr Land, denn damals weer genogdorvun dor. De Kirch weer heel froh, wenn allens verpacht weer. Müssen doch vun düsse Gelder, de dorvun inkömen, Preester un Köster betahlt warrn. Un de, de een Stück Land mehr harrn, de buuten denn ok Korn an, meistens Roggen un Weeten.
Ja, veel Arbeit hett so een Stück Land maakt. Un de Boden wär gor nich licht to bearbeiten. Mal wär dat Land lehmig un mal wär dat’n beeten sandiger. Aver gegen den Lehm, dor geev dat ja wat. Un dat leeg diekt för de Döör. Dat wär dat Seegras! Un de Kurverwaltung harr damals keen Malesch dormit wi hüttodags. Dat föhrn de Fuhrlüüd Dag för Dag af. Brukst nur to bestellen! Een Föhr hoch vull, twee Peer dorvör, kosten fief Mark! Un de Föhrmann kippt di dat op’n Acker af! Utteenanner bringen un ünnergraben, dat müsst du sülben. Dor waßt aber ok wat na! Kartüffeln un Röben stünnen goot. Un de Roggen stünn hoch un rank in de Eer! Dor seet allerhand Korn in! Ja, dat weer zwar een sures Brot, aver achter smeckt dat ok! Stell di dat vör: allens per Hand un jedes Stück wöör mit de Schuufkohr na Huus föhrt. Ja, un dormit weer dat ja noch nich in’n Sack! Nu dän sick mehr tosamen un denn wöör dat mit den Dröschflegel utdöscht! Un denn föhrn se noch mal to Feld, un wenn de Wind günstig weihen dä, ja, denn scheed sick de Spröh vun dat Korn. Un nableev dat Getreide för’n Möller to’n Mahlen. De Möhl legt ja dicht dorbi. Ja, een sures Stück Arbeit un Brot!!
Doch gaht wi noch mal trüch, kaamt noch mal wedder öber’n Bahndamm un linker Hand an’n Teutendörper Weg: Koppel an Koppel bit ran na’n Rönnauer Footstieg. Düsse Koppel güng sowiet hoch bit dat Land vun Teutendörp anfüng. Dat is dor, wo de Weg na Rönnau geiht. Düsse Koppel harrn sick de Tramünner Schlachter pacht, un in’n Sommer lööp hier dat Veeh – meistens Köh – un dat Veeh wöör schnickenfett, denn dat Gras weer goot. De Koppeln geven soveel Foder, dat dat Veehtüüch in’n Sommer gor nich hööd harrn müß.
Mitten in de mittelst Koppel leeg damals de Teutendörper Redder. Dat weern ungefähr söben Hüser, de damals an’n Teutendörper Weg lingen dän. Beten später köm noch een Huus dorto, dat Huus leeg aver ganz alleen an’n Teutendörper Weg. Dit Huus gehörte damals den ollen Hagelstein. Dat ist HATRA sein Vadder, de leeg dor baben ganz alleen. Dat Huus harr den namen „LENA“, so heet sein Dochter. He sülben wär de Besitzer vun de „STRANDPERLE“ op’n Priwall. De is ja naher afbrennt. Aver in mien Kinnertiet weer dor fix wat los.
Doch schweift wi nich af! Kaamt wi trüch na’n Teutendörper Weg un de Siedlung. Wo dörch se enstahn is, dat weet ji all: E-Stelle op’n Priwall. Werft un Haben und de Maschinenfabrik hebbt mit dorto bidragen, dat de Siedlung entstünn na 1933. De Rest entstünn as de Krieg toenn wär.
Un ok hier in Tramünn, wo Hunnerte vun Flüchtlinge sitten dän un de ja een Obdach hebben müssen. Doch tonächst hett dat Land, wat noch nableeben wär, de Minschen ernährt. Un as uns dat beeder güng un de Kartüffeln nich mehr so knapp wärrn, dunn sünd se wedder anfungen to buun, un de Ring het sick schloten, un een grode Siedlung is entstahn mit Pastorat un Gemeindehuus in’n Mittelpunkt un in de Mitt liggt – as een Prachtstraat – de Teutendörper Weg.
Veele Straaten gaht na Rom, so seggt een olles Sprichwort, un man kann seggen, veele Straaten loopt na’n Teutendörper Weg! Wie Strahlen üm de Sünn, so drapt se sick in de Mitt wedder, eben an’n Teutendörper Weg. Un wat ok ümmer passiert, ob Kinddöp, Schoolgang, Konfirmation, Truung oder Beerdigung, allens geiht öber’n Teutendörper Weg. To Arbeit gahn un na Huus kamen, allens geiht öber’n Teutendörper Weg!
Wenn du mi nu fragst, wat is dat eegentlich för een Slag Minschen, de dor wahnt, denn mütt ick seggen: eenfach un schlicht, gradeto, ahn Ecken un Kanten. Blootsmäßig tosamen sett se sick ut de Urbevölkerung vun Tramünn, beeten Meckelnborg, Lübeck, Schleswig-Holstein, un na den Krieg een beeten ostdüütsches Bloot.
Aver gaht de Siedlers öber den Bahndamm na Tramünn rin, denn is ehr tomod, as gaht se in’t Utland! Gaht se aver wedder trüch över de Bahndamm, denn seggt se: „HEIMATGERUCH!“. Ick heff dat an eegen Liev to spüren bekamen! Ja, miene leeven Frünn, so is dat üm düsse Siedlung.
Ick müch de Siedlers noch veele Johr Glück un Tofreedenheit in ehre Hüser un Goren wünschen, vör allen Dingen Gesundheit.
Wat is den Siedler sein Stolt?
Dat lütte Huus, de Minschen, de Kinner,
wenn se sünd ut godem Holt.
So lang du kannst mit den Spaten ümgahn,
ward ok de Siedlung nich ünnergahn.
Otto Timmermann
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