Aus der Geschichte Travemündes
Zur 220. Wiederkehr der Gründung des Seebades Travemünde am 1. Juli 1802
Zusammengestellt von Wolf Rüdiger Ohlhoff
Teil 2
Ein Bericht aus dem Jahr 1803 hebt vielmehr mit lebhaften Worten hervor, wieviel Travemünde in nicht einmal 2 Jahren an Bedeutung gewonnen habe. Die Schlaglöcher und Pfützen auf den Straßen seien verschwunden, ein gutes Steinpflaster gelegt, die Häuser z. T. modernisiert und zum Teil sogar neu gebaut worden. Der Strand und seine Promenade sei mit Bäumen bepflanzt und das frühere öde Leuchtenfeld mit seinen Parkanlagen zu einem lachenden Sitz der Geselligkeit und Freude geworden.
Die Zahl der Fremden habe an einzelnen Tagen 4.500 Gäste betragen. In 2 ½ Monaten des Sommers 1803 seien 4.800 Bäder, an einzelnen Tagen sogar bis zu 130 genommen worden. Und trotz der Konkurrenz der Seebadeanstalt sei zu den drei Hotels im Städtchen sogar noch ein viertes dazu gekommen.
Für die Briefbeförderung war eine eigene, täglich von und nach Lübeck gehende Briefpost mit einer für 6 Personen ausgerichteten Kutsche eingerichtet worden. Dazu eine Fähre in Kücknitz über die Trave. Morgens um 8 Uhr gingen Kutschen von beiden Orten ab und trafen auf beiden Seiten der Herrenfähre über die Trave ein. Die Passagiere wurden mit der Fähre über die Trave gesetzt, stiegen in die bereits wartende Kutsche am anderen Ufer ein und wurden unverzüglich weiter nach Lübeck oder Travemünde befördert. Der Fahrpreis betrug 24 Schillinge. Die Beförderung von einem Ort zum anderen in beide Richtungen dauerte so ungefähr 2 ½ Stunden pro Strecke, trotz der miserablen Straßenzustände, und war für damalige Verhältnisse erstaunlich schnell, trotz der zeitweiligen Überschwemmungen der Landstraße in Höhe des heutigen Skandinavienkais. Die jetzige Travemünder Straße wurde erst 1833 fertig gestellt.
Die Angaben dieses Berichtes wurden durch manche kleinen Einzelheiten ergänzt. Travemünde hatte damals eine Besatzung von 30 Soldaten, die zum größten Teil unverheiratet waren. Letztere mussten die Travemünder Bürger der Reihe nach privat unterbringen oder sich von dieser Verpflichtung durch eine Abgabe von 5-8 Schillingen monatlich freikaufen, wovon sich die Soldaten eine Unterkunft selbst suchen mussten. Sobald aber das Seebad mit den Übernachtungszahlen auf Hochtouren lief, stiegen die Wohnräume so an Wert, dass niemand mehr an die Soldaten vermieten wollte und auf andere Weise für die Unterkünfte in der Zitadelle gesorgt werden musste.
Auch ein Konditor aus Lübeck bezog hier eines der Kellergewölbe der Zitadelle als Eiskeller für seine leicht verderblichen Erzeugnisse. An dieser Stelle sei auch erwähnt, dass sich die Zahl der Hotels im Zeitraum von 1802 bis 1841 von drei auf acht erhöhte.
Die Direction des Seebades folgte ihrem Ziel bewusst weiter. Um den reichen Gutsbesitzern aus Mecklenburg den Besuch Travemündes zu erleichtern, wurde auf dem Priwall eine Wirtschaft eingerichtet, die den Reisenden, die auf die Fähre nach Travemünde warteten, bei schlechtem Wetter Obdach bot. Der Wirt hatte vom Lübecker Senat die Genehmigung bekommen, Bier und Branntwein auszuschenken. Zudem erhielt die Direction der Badeanstalt ein Gebiet von 10 Morgen Land auf dem Priwall für 10 Jahre abgabefrei als Bauland für touristische Infrastrukturen. Die schwere Zeit der Besetzung Lübecks und Travemündes durch französische Soldaten von 1811–1813 lastete allerdings schwer auf dem aufstrebenden Badeort. Nur mit Mühe konnten die Kuranlagen vor den französischen Truppen gerettet werden, die zu Festungszwecken um- und bebaut werden sollten.
Die Erträge der Bäder, der Pacht des Speisehauses, die Vermietung der Zimmer im Logierhaus sanken auf ½ bis ¼ des früheren Durchschnittes herab. Aber nach Vertreibung der Franzosen fielen 1814 mit den neuen auch die alten Festungswerke und nach deren Abriss wurde Platz geschaffen für Neubauten, und das Seebad Travemünde nahm bald seine jetzige Gestalt ein. 1816 wurde ein neuer Fuß- und Fahrweg nach dem Leuchtenfelde angelegt, der vom Ende der Vorderreihe direkt zum Strande führte (heutige Trelleborgallee). 1814 ging das Speisehaus in den Besitz des Restaurateurs Grube über. Grube vergrößerte das Areal und setzte dem einstöckigen Speisehaus 1819/20 ein Stockwerk mit zwei Reihen Zimmern auf und erweiterte den gesamten Komplex um zwei geräumige Flügel, der ab nun den Namen „Kurhaus“ erhielt.
Auch das Warmbadehaus am Strand wurde umgebaut und vergrößert, so dass es nunmehr außer einem Vorsaal, acht Badezimmern mit Wannen, eine Vorrichtung zu Regen- und Sturzgüssen und in je einem Pavillon an beiden Schmalseiten des Gebäudes eine solche für Dusch- und Schwefelbäder enthielt. Die dem Kurhaus zugewandte Seite des Gebäudes bekam acht freistehende Säulen, die einen vier Fuß breiten, überdachten Gang vor den Fenstern bildeten.
Mitte der 1820er Jahre wurde im Kurhaus eine Spielbank eingerichtet, die anfangs illegal im Hinterzimmer betrieben wurde und dann 1833 offiziell geführt werden durfte. Die Pachteinnahmen für die Stadt durch das Spielen waren so hoch, dass damit Anfang der 1860er Jahre in Travemünde eine elektrische Straßenbeleuchtung gebaut werden konnte. 1872 wurde das Glücksspiel im Deutschen Reich durch Bismarcks sozialistische Gesetzgebung reichsgesetzlich verboten und erst 1949 unter englischer Militärregierung als Casino im ehemaligen Kursaalgebäude wieder eröffnet. Leiter dieser neuen Einrichtung war dann Casino-Direktor Neid, ehemals Direktor der Spielbanken im belgischen Kurort Spa.
1833 verkaufte Grube die gesamte Seebadeanstalt an den Kaufmann Heinz Behrens für 116.300 Mk. Diesem ist besonders die Vergrößerung der Gartenanlagen und die Anpflanzung der seltenen und vorzüglichen Exemplare an seltenen Bäumen und Sträuchern zu verdanken, die den Kurpark an den Karpfenteichen noch heute zieren. Ferner ließ er zwischen Kurhaus- und Schweizerhäusern ein Gebäude errichten, das nach vorne zum Meer eine überdachte Säulenhalle und dahinter 4 Ladengeschäfte und einen Billardsaal besaß, die dann später als Konditorei betrieben wurde. Am Strand wurden kleine Pagodenzelte erbaut, die in der Sommersaison als Umkleidekabinen dienten und im Herbst wieder abgebaut wurden. Auch die Zahl der Badekarren wurde bedeutend vermehrt.
1859 erwarben der Arzt Dr. Cordts und der Lübecker Kaufmann B. G. Kayser die Seebadeanstalt. Nunmehr erhielten die neuen Besitzer die gesamten Ländereien unter Hinzufügung eines Teiles des Leuchtenfeldes gegen eine jährliche Pacht von 300 Mark Courant als Eigentum. Der Lübecker Staat gab sein ihm seit 1816 zustehendes Vorverkaufsrecht auf, sorgte aber durch Eintragung einer entsprechenden Note in das Lübecker Hypotheken-Buch dafür, dass die Warmbadeanstalt für immer ihren Zwecken erhalten bliebe. 1860 wurde hinter dem Speisehaus ein Spielsaal für das Roulette-Spiel, für „17 und 4“ und „Black et Noir“ angebaut .
Die Konditorei wurde um einen 1. Stock erweitert, wie auch die Schweizer- Häuser, so dass nunmehr 20 weitere Zimmer zur Vermietung an Gäste zur Verfügung standen. 1872 wurde das Warmbadehaus und große Teile der Altstadt durch eine verheerende Sturmflut am 13. November zerstört. Der Betrieb des Warmbadehauses wurde nun notgedrungen in das in zweiter Strandreihe stehende neu erbaute Hanse-Haus verlegt, in dessen Erdgeschoss 12 Badezimmer nach neuzeitlichem Komfort eingebaut, während die Räume der 1. und 2. Etage als Fremdenzimmer angeboten wurden. 1873 beschloss der Senat für Travemünde eine Musik- und Kurtaxe einzuführen, aus der die Unterhaltungskosten für die Kureinrichtungen und Anlagen, sowie der Betrieb der Kurkapelle bezahlt werden sollten.
Gleichzeitig wurde am Strand eine Badeanstalt als Damen-Kaltbad errichtet, dem 1881, und ein Jahr später, dass sogenannte Herren-Kaltbad folgte. Beide Badeanstalten waren aus Pietätsgründen durch Sichtschutzwände voneinander getrennt. Als 1884 das gesamte Hansa-Haus für Logierzwecke nutzbar gemacht wurde, wurde provisorisch ein neues, bescheidenes Badehaus mit zwölf Badekabinen und zwei Wartesalons, neben dem Kurhaus an der Lindenallee, erbaut. Sehr viel später wurde es dann als Kurhaus-Klause für die Unterbringung der Fahrer und Bediensteten der im Kurhaus-Hotel abgestiegenen Herrschaften genutzt. 1882 wurde am heutigen Fontänenfeld an der Strandpromenade nach Plänen des Lübecker Architekten Julius Grube ein achtseitiger hölzerner zweigeschossiger Strandpavillon errichtet, der über 505 „an bequemen gedeckten Sitzplätzen“ verfügte und an dem an jedem Morgen das Kurkonzert stattfand.
Auf dem Priwall wurde 1887 vom Lübecker Verein für Ferienkolonien eine Ferienkolonie für 400 Lübecker Kinder begründet, in der jährlich fast 200 erholungsbedürftigen Kindern für 4 Wochen ein Kuraufenthalt unentgeltlich gewährt wurde.
Vom Schlage, der Travemünde durch die Schließung der Spielbank im Jahr 1872 getroffen hatte, vermochte es sich aus eigener Kraft nicht wieder zu erholen. Selbst so wichtige Neuerungen wie die Erfindung des Strandkorbes durch den Rostocker Korbmachermeister Wilhelm Bartelmann im Jahr 1882, wie auch der Bau der Eisenbahn von Lübeck nach Travemünde und die Anlage der Pferderennbahn auf dem Priwall, die Einrichtung der Travemünder Segelregatten im Jahr 1891 und der Bau der Wasserleitung für alle Haushalte in Travemünde 1892 blieben erfolglos.
Über die ersten Strandstühle, so hießen die Strandkörbe anfangs, war in einem Travemünder Reiseführer zu lesen; „ Zur miethweisen Benutzung wurden auch ein- und zweisitzige zu haben sein“. Der Besitz der Seebadeanstalt war 1882 an die Aktiengesellschaft der Lübecker Weingroßhandlung C. Tesdorpf aus Lübeck übergegangen, aber eine einheitliche und fähige Geschäftsführung des Bades fehlte. Der Badebetrieb in Travemünde führte dadurch ein bescheidenes und idyllisches Dasein und zeigte sich der Konkurrenz in den anderen Bädern der Lübecker Bucht nicht mehr gewachsen, die an zahlreichen Punkten der Lübecker Bucht gegründet worden waren.
Da griff zur rechten Zeit der Lübecker Staat ein, indem er 1898 die Seebadeanstalt ankaufte. Die Hotelanlagen des Seebades wurden an den Restaurateur F. Brügmann verkauft, der dieselben schon bereits vorher gepachtet hatte. Die Verwaltung des Bades wurde in die Hände der höchsten Lübecker Behörde, dem Finanzdepartement, gelegt, in dem eine besondere Abteilung für Travemünde eingerichtet wurde. Unter deren sicherer und zielbewusster Leitung hat Travemünde einen ganz außergewöhnlichen Aufschwung genommen, und ist eigentlich erst jetzt zu einem modernen Seebad geworden.
Die Eisenbahn wurde nun vom Hafenbahnhof, dem bisherigen Endpunkt, bis fast ans offene Meer mit seinem 1914 neu erbauten Strandbahnhof verlängert, bequeme Zugverbindungen zwischen Hamburg und Berlin mit Travemünde geschaffen und ein Vollbahnbetrieb zwischen Travemünde und Lübeck eingerichtet. 1901 hatte die Bahn dann durch all‘ diese Investitionen fast eine halbe Million Personen befördert. Die beiden Kaltbadeanstalten wurden umgebaut, bedeutend erweitert und ein neues, allen Anforderungen der Jetztzeit entsprechendes Warmbadehaus
gebaut. Im Jahr 1901 sind im Ganzen etwa 55.000 Warmbäder verabreicht worden.
Am Strande entlang führte jetzt eine mehr als 1 km lange herrliche Strandpromenade. Der Kalvarienberg hinter dem Kurhaus-Hotel und ein Areal am Beginn des Wanderweges über das Brodtener Ufer nach Niendorf wurden mit Bäumen bepflanzt und das Wäldchen auf dem Priwall durchgeforstet. Am Ende der Strandpromenade wurde landseitig eine neue prächtige Villenstadt errichtet, deren Straßenzüge die Namen Reling, Backbord, Steuerbord, Am Heck und Mittschiffs erhielten. Das erweiterte und neu eingerichtete Kurhaus-Hotel festigte mit jedem Jahr mehr seinen Ruf als musterhaft geführtes Luxus-Hotel. Im Städtchen selbst zeugen der Umbau und Vergrößerung vieler Hotels, der Bau neuer großer Häuser, die Verbesserung des Straßenpflasters und die bevorstehende Anlage guter Straßenbeleuchtung von Geschäftsverständnis und gesundem Unternehmergeist.
Der besondere für den inländischen Urlauber so reizvolle Schiffsverkehr vor der Haustür, hat seit dem Bau des Elbe-Trave-Kanals bedeutend zugenommen, und der rege Schiffsverkehr nach Skandinavien erfreut Jung und Alt. Die Galopp-Rennbahn mit ihren Wettbewerben auf dem Priwall, mit ihrem unvergleichlichem Meerespanorama versammelt und entzückt alljährlich Tausende von Besuchern in der Sommersaison, und die Segelregatten der Travemünder Woche, die sich jedes Jahr des Besuchs Seiner Majestät des Kaisers rühmen darf, zieht die Aufmerksamkeit immer neuer Kreise an die liebliche Bucht. So sind es Glück verheißende Auspizien, unter denen Travemünde am 1. Juli 1902 sein 100jähriges Jubiläum als Seebad feiert. Möge eine glänzende Saison ein nicht minder gesegnetes zweites Jahrhundert für dasselbe einläuten, zur Ehre für die Abteilung für Travemünde, zum Ruhm für den Lübeckischen Freistaat und zum Segen für alle erholungsbedürftigen Urlauber!
Quellenhinweis:
Dr. Emil Paeprer von 1897-1932 1. Vorsitzender des Gemeinnützigen Vereins zu Travemünde e. V., gegr. 1848
Festschrift „Zum 100jährigen Jubiläum des Seebades Travemünde 1902“
Badearzt Dr.med. F. Liebolt „Travemünde u. die Seebadeanstalt daselbst“, 1841
Historiker Dr. C.F. Wehrmann „Die Seebadeanstalt in Travemünde 1841“ – Dr. Wehrmann war ab 1854 der erste Leiter des Lübecker Stadtarchivs Th. Albrecht „Travemünde – Vom Fischerort zum See- und Kurbad“ – Chronik Kl. Hefte zur Stadtgeschichte, Hrsg. Archiv der Hansestadt Lübeck Heft 19
Text sowie Fotos
Archiv der Hansestadt Lübeck; Museumsquartier St. Annen; UT Travemünde/Fotos: Festschrift 150 Jahre GVT, Archiv Wolf Rüdiger Ohlhoff
© Juli 2023 bei Wolf Rüdiger Ohlhoff
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