„DEM WAHREN, GUTEN, SCHÖNEN“
Teil 1 – Emil Possehls Leben und die Geschichte seiner Firma
1850 wurde Emil Possehl als erster Sohn des Lübecker Kaufmanns Ludwig Possehl in der Beckergrube geboren. In seinem Elternhaus wurden auch die Geschäfte der Firma L. Possehl & Co, einer Eisen-, Blech- und Kohlenhandlung abgewickelt. Bis heute haben hier die Unternehmensgruppe und Stiftung ihren Sitz.
Nach der Schulzeit in der Schule neben der Matthäi-Kirche in der Schwartauer Allee absolvierte Emil eine mehrjährige Lehre in der Holzgroßhandlung A. P. Rehder an der Untertrave.
Der Lehrlingszeit, die wegen des Kriegsausbruchs zwischen Preußen und den anderen deutschen Staaten von sechs auf vier Jahre reduziert wurde, schloss sich der Militärdienst an, den Emil Possehl 1871 bei den Bonner Husaren absolvierte. Mit großer Begeisterung zog der junge Possehl mit seinem Regiment in den Reichseinigungskrieg gegen Frankreich und kehrte siegreich am 19. Juni 1871 an der Spitze der Bonner Königshusaren umjubelt nach Lübeck zurück.
Im Alter von 21 Jahren trat er in den väterlichen Betrieb ein und stieg 1872 zum Prokuristen auf. Am 1. Mai 1873 ernannte ihn sein Vater vom Krankenbett aus in einem Sanatorium am Genfer See zum leitenden Mitinhaber. Schon wenige Jahre später avancierte Emil Possehl zum mächtigsten Eisen- und Erzimporteur in Europa. Sein wichtigstes Geschäftsprinzip war, das Unternehmen auf eine möglichst breite Grundlage zu stellen.
Emil Possehl verliebte sich 1873 in die Schauspielerin und Balletttänzerin Wilhelmine Ernestine Schönherr, die damals für ein Gastspiel an das alte Stadttheater in der Beckergrube engagiert wurde. Dass Possehl eine Schauspielerin heiratete war sicher ein Skandal für die lübsche Gesellschaft. Es ist nicht bekannt, wann und wo die Trauung stattfand, sicher ist nur, dass die Ehe kinderlos blieb.
Emil Possehl erkennt den industriellen Trend zur Schwerindustrie frühzeitig und richtete sein Geschäft darauf aus. Durch den Zukauf von Unternehmen aus dem produzierenden und verarbeitenden Gewerbe in Russland, Schweden und Norwegen wurde aus dem Lübecker Kaufmann – wie man heute sagt – ein Global Player als Industrieller, dessen Verbindungen von Europa bis nach Übersee reichten.
Er organisierte insbesondere den schwedischen Erzabsatz in Deutschland, wurde so zum größten Importeur für schwedische Eisenerze europaweit und Lübecks bedeutendster Unternehmer und schwerreicher Millionär. Eine firmeneigene Reederei übernahm die europaweite Distribution vom hohen Norden bis hinunter nach Lissabon und Afrika.
Auf Grund seiner Verdienste wurde er von der Lübecker Bürgerschaft zum Senator gewählt, auf der Fotoseite sehen wir ihn im Senatsornat seiner Zeit. „Er war der lautstarke Motor für Lübecks Entwicklung“, so schreibt Jan-Jasper Fast in seiner Dissertation: „Vom Handwerker zum Unternehmer“, „so habe sich Possehl u. a. schon früh für eine Verbindung zwischen Trave und Elbe eingesetzt und war damals schon ein Verfechter der Vogelfluglinie, die erst lange nach seinem Tod 1963 realisiert wurde. Auf der Fotoseite sehen wir Emil Possehl bei der Grundsteinlegung zum Elbe-Trave-Kanal in Lübeck im Mai 1895.
Wie es sich für einen reichen Lübecker gehörte, beschloss Possehl, sich zum Erholen von seinem anstrengenden Beruf, eine Sommerresidenz in Travemünde bauen zu lassen.
1904 wurde der Grundstein für eine repräsentative Jugendstilvilla an der Strandpromenade gelegt und der belgische Innenarchitekt Henri van de Velde wurde mit der Innenausstattung im Jugendstil betraut, die sich Possehl eine Million Goldmark kosten ließ. Zur Geschichte dieser Villa später mehr in der zweiten Folge meines Aufsatzes.
Durch die Kinderlosigkeit in seiner Ehe beschloss Emil Possehl, eine Stiftung zu gründen. Mit ihr konnte er den Fortbestand der Firma sichern und gleichzeitig sein Lebenswerk dauerhaft bewahren. Der Zweck der Stiftung entsprach seinen Erfahrungen in Politik und Wirtschaft. Schon Jahre vor seinem Tod diktierte Emil Possehl sein Testament, seine Maxime darin lautete: „ Mein größter Wunsch ist es, dass die Früchte meines Lebenswerkes meiner geliebten Vaterstadt, der Freien und Hansestadt Lübeck, zu Gute kommen mögen!“ Da seine Ehe, wie bereits erwähnt, kinderlos blieb, verteilte er das Vermögen auf seine Frau, die weitere Familie und auf die bereits erwähnte Stiftung. Bereits 1915 eingerichtet, wurde sie unmittelbar nach seinem Tod am 4.2.1919 rechtskräftig. Wie sehr er sich seiner Heimatstadt Lübeck verbunden fühlte, zeigt sich im obersten Stiftungszweck in seinem Testament:„ Der Förderung alles Guten und Schönen in Lübeck“.
Was er damit meinte, findet man in der Satzung der Stiftung: Die „Verschönerung“ der Stadt Lübeck ist da ebenso wichtig, wie die Förderung der Jugend und die Pflege von Kunst und Wissenschaft. Weitere Punkte sind die Unterstützung von Handel und Schifffahrt und die Hilfe für Bedürftige. „Große Priorität haben dabei gemeinnützige Zwecke“. Das bedeutet, dass sich jeder eingetragene Verein, der seinen Sitz in Lübeck hat, an die Stiftung mit der Bitte um finanzielle Hilfe wenden kann.
Schon 1904 schenkte Possehl der Hansestadt Lübeck das Grundstück Beckergrube 10-14, auf dem dann das neue Lübecker Stadttheater nach Plänen des Dresdner Professors Martin Dülfer im Jugendstil am 4. Oktober 1908 eröffnet werden konnte.
Emil Possehl starb am im Alter von kaum 69 Jahren am 4. Februar 1919 in Lübeck. Wie alle verstorbenen Lübecker fand der Senator seine letzte Ruhestätte auf dem Burgtorfriedhof in einem schlichten einfachen bürgerlichen Grab.
Nachdem im Senat ein entsprechender Antrag auf die Errichtung eines Mausoleums in Anbetracht von Possehls Verdiensten für Lübeck bewilligt wurde, wurde der in Berlin lebende Lübecker Bildhauer Professor Pagels mit dem Entwurf eines des Toten würdigen Grabmals beauftragt. Nach Pagels Plänen entstand dann ein Mausoleum mit einer flach geschwungenen Kuppel, auf der sich als Krönung eine stilisierte Flamme befindet.
Doch noch einmal zurück zu der von Emil Possehl ins Leben gerufenen Stiftung: In den vergangenen Jahrzehnten hat die Possehl-Stiftung wischen 20 und 25 Millionen Euro pro Jahr an Spenden ausgeschüttet. Dazu kommen dann noch zusätzliche Sondermittel, wie zum Beispiel die 10 Millionen DM für die Neue Kunsthalle am St. Annen Museum und die 42 Millionen Euro für das Europäische Hansemuseum.
Das neueste Projekt nennt sich „ Kolk 17 mit Figurentheater & Museum“. Mitten in der Lübecker Altstadt, am Fuß der Petri-Kirche, befindet sich in historischen Gemäuern ein in Europa einmaliger Kulturschatz. Im „KOLK 17“ soll die faszinierende Welt des Figurenspiels lebendig werden. Das Museum bewahrt eine einzigartige Sammlung von Theaterfiguren, Requisiten, Kulissen und Plakaten sowie Musikinstrumenten von den Kontinenten Asien, Afrika und Europa. Hier können dann alle Spielarten des modernen Figurentheaters (Marionetten, Tisch- und Stabfiguren, Schattentheater und Trickfilm) erlebt werden.
Die Possehl-Stiftung hat beschlossen, den Gebäudekomplex im Kolk zu sanieren. Die Eröffnung dieses wohl einmaligen Vorhabens wird voraussichtlich im Laufe des Jahres 2023 erfolgen. „Dabei achten wir aber sehr darauf, dass unser normales Stiftungsgeschäft nicht durch solche Sonderprojekte beeinträchtigt wird“, so Stiftungs-Vorstandschef Max Schön. Die Stiftung kann sich das leisten, weil sie nach wie vor alleinige Gesellschafterin der Possehl-Unternehmensgruppe ist und über die dort erwirtschafteten Gewinne allein verfügen kann.
Diese Unternehmen erwirtschaften rund um den Globus fast 4 Milliarden Umsatz pro Jahr und beschäftigen aktuell 13.365 Mitarbeiter weltweit. Sie alle eint das Ziel, mit einer regelmäßigen Dividende das gemeinnützige Wirken der Stiftung zu finanzieren. Genauso, wie es sich Emil Possehl einst ausgedacht hat: alles zum Wohl seiner geliebten Vaterstadt Lübeck.
Wolf Rüdiger Ohlhoff
Fotos: Archiv W. R. Ohlhoff
Abdruck nur mit Genehmigung von Wolf-Rüdiger Ohlhoff, Copyright 2010
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