2005 – Heft 1 / 322
K R I T I C U S
hat in der Mitte des Monats Januar seinen weihnachtlichen Tannenbaum auf seine letzte Reise geschickt. Mit vielen Kollegen stand er neben einer braunen Mülltonne am Straßenrand und wartete auf das Fahrzeug, das ihn mitnehmen würde zum Sammelplatz für nun arbeitslose Weihnachtsbäume. Er hätte den Baum vielleicht noch ein paar Tage friedlich in seiner Zimmerecke stehen lassen können, mit allem Schmuck natürlich. Aber aus ökologischen und ökonomischen Gründen war das leider nicht mehr möglich. Erstens weil er seine Nadeln nicht mehr halten konnte, und zweitens weil die Hausfrau den Platz benötigte, auf den der alte historische Schaukelstuhl Anspruch hatte. Außerdem wollte sie nach den vielen Feiertagen wieder einmal gründlich sauber machen.
Dabei gibt es Leute, die den Ehrgeiz haben, dem liebgewordenen Zimmergenossen möglichst lange Domizil zu gewähren, mehrere Monate sogar bis Weihnachten 2005. Dann wird ihre Weihnachtsbaumtreue vielleicht mit dem Eintrag in das Guinnessbuch der Rekorde belohnt. Dann sind die Leute sehr stolz und kommen in die Zeitung. Obwohl KRITICUS auch ein persönliches Verhältnis zu dem Zimmergenossen aufgebaut hat, das schon beim Kauf eines Baumes beginnt, so wächst die Zuneigung zu ihm immer mehr bis zum Ausruf: „So einen schönen Baum haben wir noch nie gehabt!“ Und das geschieht alle Jahre wieder.
Aber dann kommt schließlich doch der Tag des Abschiednehmens. Vorsichtig werden ihm Schmuck, Kerzenhalter und Lametta entnommen. Ab und zu findet man noch einen Schokoladenkringel, und er, der Baum nadelt still vor sich hin, als ob er weint, und wartet auf den Tag der Entsorgung. Was für ein profanes Wort. Aber der fällt nicht immer auf den Tag, an dem der Baum das Zimmer räumen muß, und hier beginnt für viele Bürgersleut ein Problem; nicht welterschütternd, aber doch schwer lösbar. Früher hatten wir es einfacher, da kam der Baum ins Krematorium, d. h. er wurde verheizt und spendete noch einmal wohlige Wärme, in handliche Stücke zersägt landete er im Ofen.
Sicher hat sich vieles geändert, was Weihnachten angeht, auch bei den Bäumen. Die sind offensichtlich größer geworden, und auch ein Zweitbaum scheint kein Luxus mehr zu sein. Dadurch wird das Entsorgungsproblem natürlich größer. Aber unsere Stadtväter hatten vorgesorgt. Bis 2002 konnte man seinen liebgewordenen Hausgenossen zu einem Sammelplatz bringen, wo er im Kreise von vielen Kollegen auf sein weiteres Schicksal wartete. Einige Zeitgenossen nutzten aber die Gelegenheit, allerlei andere Abfälle gut getarnt von den Nadelbäumen dort loszuwerden. Das erregte zu Recht den Unmut der Saubermänner.
Folglich ließen sich unsere Müllabfuhrverantwortlichen etwas anderes einfallen. Die Bäume werden an den Tagen, an denen die „Braunen Tonnen“ geleert werden, dazugestellt und abgeholt. Das war in diesem Jahr so etwa um den 10. Januar herum. Da haben natürlich die Mitbürger Probleme, die keinen Garten oder Balkon zur Verfügung haben, um das nadelnde Bäumchen sozusagen zwischenzulagern. Und schon wird es klammheimlich wieder zu den bekannten Sammelstellen gebracht und gleich wieder ein Müllsack dazu, wie das Foto vom Platz an der Kaiserallee beweist.
Das muß natürlich bestraft werden, wie von verantwortlicher Stelle empfohlen wird. Bis zu 85 Euro soll der Übeltäter blechen. Recht so! Natürlich wird vorausgesetzt, daß dieser Mensch eine Visitenkarte an dem Baum befestigt, damit man ihn belangen kann. Ein Müllsack kostet natürlich extra. Denn das findet der KRITICUS echt schlecht. Er würde sich auch nicht wundern, wenn unsere Müllmänner sagen: „Seht doch zu, wie Ihr Eure Bäume loswerdet!“, und viel Geld sparen.
Kürzlich hat der KRITICUS bei einem Freund ein Plastikbäumchen gesehen, das sah aus wie echt, wirklich! Es nadelt garantiert nicht, und der Hersteller gab eine Garantie für zehn Jahre. Die Bäume sind zusammenklappbar und passen in jeden Kleiderschrank. Diese Lösung ist doch sehr praktisch.
In der Zeitung hat der KRITICUS gelesen, daß in Mecklenburg in vielen Gemeinden die Bäume zu großen Haufen gestapelt und verbrannt werden. Wie ein kleines Fest mit Punsch und Würstchen in Erwartung des Frühlings. Das findet er eine gute Idee, und in diesem Sinne wünscht er schon frohe Ostern, der
KRITICUS.
zurück zur Übersichtsseite KRITICUS