Portraits Travemünder Personen
Erich Prüßing
Bildhauer
geb. 20.Febr.1911 gef. 17. Sept. 1943
bei Lubny/Rußland
Am 20. Februar 2001 wäre er 90 Jahre alt geworden, der Travemünder Bildhauer Erich Prüßing. Er starb 1943 als Frontsoldat in Russland. An ihn erinnert das Hochrelief aus Eichenholz über dem Eingang der Travemünder Stadtschule „Junge und Mädchen bei den Schulaufgaben“, das er 1935 noch während seiner Zeit in Lübeck und Travemünde zur Einweihung des neuen Schulgebäudes der altehrwürdigen, heute 470 Jahre alten Travemünder Lehranstalt schuf.
Mit seinem Portrait wollen wir „in memoriam“ einen Travemünder Künstler vorstellen, der es wohl verdient hat, dass er nicht in Vergessenheit gerät. Vor mir liegt eine Mappe, die mir sein Freund Rudolf Bock vor vielen Jahren Überreicht hat mit der Bitte um Aufbewahrung. Sie enthält viele Fotos aus der Zeit, die Prüßing in Lübeck und München als junger und lernender Künstler erlebte. Das älteste Bild stammt aus dem Jahre 1929, und das letzte wurde kurz vor seinem Tode während eines Fronturlaubes nach seiner zweiten Verwundung am Travemünder Strand aufgenommen. Da war er 32 Jahre alt.
In diesem „Nachlaß“ befindet sich auch ein kleines abgegriffenes Notizbuch mit Kalender aus dem Jahre 1941. Auf dem ersten Blatt steht geschrieben:
Dieses Buch gehört:
E. Prüßing, Gefreiter
Feldpostnummer 15 368 B
München – Pasing
Parkstr. 37
Es enthält nur wenige Aufzeichnungen und Notizen, z. B. die Nummern von Gewehr, Seitengewehr und Gasmaske, einige Adressen, einen ausführlichen Teil über Frankreich mit 100 Sätzen sowie 1000 Worten Französisch und einen Stadtplan von Paris.
Stichwortartige Eintragungen im Kalendarium schildern Kriegsereignisse „Mo., 23. Juni 1941, 5.30 Uhr Marsch nach Osten, viele tote Russen, schlafen im Wald. – Mi., 25. Juni, sehr warm, Panzeralarm – 15 Gefangene usw.“
Im November 1968, 25 Jahre nach seinem Tode widmeten ihm noch viele Zeitschriften ausführliche Nachrufe. Neben Fachzeitschriften schrieben auch die Lübecker Nachrichten unter der Überschrift „Vor 25 Jahren fiel Erich Prüßing!“ Mit dem Tod des Travemünders verlor die Kunstwelt einen begabten Bildhauer! einen ausführlichen Bericht über das Leben und Wirken dieses Mannes. Auch im Heft 7/1968: „Unser Travemünde“ und in der Mövenpost berichteten Dr. H. Heidrich und „Jonathan“ von Erich Prüßing. Doch dann wurde es still um ihn. Sein Vater war hochbetagt 1967 verstorben, sein älterer Bruder Hugo, der ebenfalls in Travemünde lebte, bemühte sich um seinen künstlerischen Nachlaß.
Ich will versuchen, in einer kurzen Lebensbeschreibung Erich Prüßing noch einmal lebendig werden zu lassen.
Alte Travemünder erinnern sich noch an seinen Vater, Polizeiobermeister Hugo Prüßing (1878-1967) und seine Frau Alma (1887-1966), die im Hause Kurgartenstr. 125 wohnten.
Erich Prüßing war der 3. Sohn von 4 Kindern. Er war ein aufgeschlossenes Kind und interessierte sich sehr früh für die Malerei. Er liebte die Musik Mahlers und Beethovens. Seine Mitschüler und Lehrer in der Stadtschule Travemünde bewunderten eine Fähigkeit, Käfer, Blumen oder Blätter abzuzeichnen oder aus Knetmasse zu formen.
Mit 15 Jahren, am 6. April 1926, kam Erich für 4 Jahre in die Lehre des bekannten Bildhauers und Modelleurs Otto Mantzel, studierte in Abendkursen an der Lübecker Kunstschule bei Prof. von Lütgendorff und erhielt am 9. Sept. 1930 ein ausgezeichnetes Abgangszeugnis. Sein Lehrer und großer Förderer Otto Mantzel lobte am 28. Jan. 1930 besonders seine Fähigkeiten im Bereich der figürlichen Darstellung in Holz, Stein oder Gips, aber auch seine Fertigkeiten für Stuck- und Ornamentikarbeiten.
Sein Gesellenstück „Der Froschkönig“ wurde von der Stadt Lübeck gekauft und im Stadtpark aufgestellt.
Otto Mantzel und der damalige Lübecker Bankdirektor Pieper sorgten dafür, dass Prüßing acht über 400 Jahre alte Eichenbalken, die aus den Türmen des Holstentores beim Umbau entfernt worden waren, zur Verfügung gestellt wurden. Hieraus fertigte er auch das anfangs erwähnte Hochrelief „Junge und Mädchen bei den Schulaufgaben“ über dem Eingang der Travemünder Stadtschule.
In dieser Schule steht auch die vom Gemeinnützigen Verein Travemünde erworbene Dr. Zippel-Büste aus Bronze, die 1936 entstanden ist.
Von 1931 bis 1938 folgte ein vielseitiges Studium als Bildhauer an der Akadamie der Bildenden Künste in München. In dieser Zeit fiel auch seine erste Ausstellung in Lübeck (1933) mit etwa 20 Arbeiten, darunter eine überlebensgroße David-Skulptur.
Prof. Hermann Hahn, zu dessen Meisterklasse Erich Prüßing in München gehörte, erkannte seine besondere Begabung und fügte 1938 dem Abschlusszeugnis „mit Freude“ folgenden Satz hinzu: „… dass Herr Prüßing durch sein Arbeiten in meiner Schule und auch durch öftere Anerkennung des Professorenkollegiums der Akademie den Beweis starker Begabung erbracht hat, und von ihm in Zukunft Großes und Schönes zu erwarten ist, dessen bin ich gewiß!“
E. Prüßing nahm an großen Wettbewerben teil und errang viele 1. und 2. Preise. Er bekam Aufträge aus dem In- und Ausland. Sein Traum auf einen Studienplatz in der Villa Massimo in Rom war greifbar nahe.
Noch bis zu seinem Todesjahr 1943 arbeitete der mit dem 1.200 Mark dotierten Mondschen Stipendium bedachte Künstler an seinen bildhauerischen Schöpfungen. Sein letztes Werk, eine Ikarus-Skulptur, hat er nicht mehr fertig stellen können. Selbst an der Front in Russland hat er noch Entwürfe skizziert. Während des letzten Genesungsaufenthaltes nach der 2. Verwundung fertigte er noch ein Modell des „Ikarus“ an.
Er ließ sein Leben, Ort und Zeitpunkt sind nur ungenau zu benennen. Auf dem Rückzug versuchte er mit einem befreundeten Soldaten, verwundeten Kameraden Hilfe zu leisten. Danach sah ihn niemand mehr.
Überreich ist die Fülle seiner bildhauerischen Schöpfungen aus Holz, Gips, Stein, Kunststein, Marmor, Bronze und anderen Metallen, seiner vielen Reliefplastiken und der gekonnten Kinder- und Tiergestalten. Aber auch überlebensgroße allegorisch Figuren, wie „David mit der Schleuder“, die repräsentativen Entwürfe für die Ausgestaltung des Kgl. Platzes München und die im Modell ausgeführte, in der Steenkampschule aufgestellte heimatliche Sagenfigur des Roggenbuk gehören zum Themenkreis Erichs Prüßings.
Zum 450. Jubileum der Stadtschule Travemünde im Jahr 1981 verfaßte die Lehrerin Uta Grätz zu seinem 70. Geburtstag folgendes Gedicht, mit dem wir das Portrait abschließen wollen. – Erich Prüßing in memoriam.
Helmuth Wieck
Erich P r ü ß i n g in memoriam.
Vor 70 Jahren wurde er geboren
und zeigte bald als Künstler sich
in Skizzen, Bildern und Skulpturen
und manchen festen Federstrich.
Mit 20 Jahren schon bekannt in München,
wo mancher Preis den Künstler krönt,
vergisst er nicht die ersten Schulen,
die ihn zuvor mit Stoff verwöhnt:
vor Lübeck war es Travemünde,
das in der Stadtschul’, dicht am Markt
ihn kirchennah die erste Schwelle bot.
Er liebte diese Schule ohne Zweifel,
denn bald schon zierte sie ein Prüßing-Werk:
über dem Eingang, über der Schwelle
im Hochrelief ein Schülerpaar,
das lernend zwar,
doch barfüßig lässig Strand und Welle beschwört.
„Jahrhundert des Kindes“, hier bist Du erhört!
Schul-Schwellenangst hier?
Das scheint fast unmöglich.
So macht Erich Prüßing Schule heut’ noch erträglich.
Uta Graetz
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