Portraits Travemünder Personen
Ursula Donitzky
Bei der Berufsangabe, die der Chronist in der Überschrift des Portraits immer aufzuführen pflegte, kam er etwas ins Grübeln, denn Ursula Donitzky war eigentlich eine All-Round-Frau. Heute würde man sagen, sie war zusammen mit ihrem Mann Wilhelm Firmengründerin, Unternehmerin und selbständige Kauffrau. Jetzt ist sie als Rentnerin im wohlverdienten Ruhestand immer noch selbständig und kann auf ein langes, ereignisreiches und häufig recht spannendes Leben zurückblicken.
Sie wurde am 11. Dezember 1911 in Lübeck als erstes Mädchen von insgesamt acht Kindern geboren. Ihr Vater Ernst Voss war Kaufmann und betrieb mit seiner Ehefrau Herta einen großen Kolonialwarenladen, wie man damals zu Kaisers Zeiten Feinkost- und Lebensmittelgeschäfte zu bezeichnen pflegte, in der Großen Burgstraße Nr. 59. Von ihren sieben Geschwistern sind die vier Brüder alle im zweiten Weltkrieg gefallen.
Ab 1917 besuchte Ursula die Ernestinenschule in Lübeck und nach dem Mittelschulabschluß die Frauenfachschule (heute Dorothea-Schlözer-Schule). Sie erlebte die schwere Zeit nach dem 1. Weltkrieg mit Inflation und Weltwirtschaftskrise mit dem Optimismus eines jungen Mädchens. Sie begann sogar mit dem Studium der Psychologie. Während der Tanzstunde lernte sie ihren zukünftigen Mann kennen. Wilhelm Donitzky stammte aus Schladern im Harz. Als gelernter Kaufmann passte er ausgezeichnet in die Lübecker Kaufmannsfamilie Voss und wurde von seinen Schwiegereltern herzlich in den Kreis der Familie aufgenommen. Am 14. September 1932 heiratete das junge Paar. Wilhelm war begeisterter Segler und gewann viele Regatten. 1934 wurde er Lübecker Meister der 20er Rennjollen. Der große Senatspreis, ein silberner Lübeck-Leuchter, ziert seitdem das Wohnzimmer. Den ersten Sohn nahmen sie bereits mit sechs Wochen im Waschkorb mit zum Segeln. Die Donitzkys bekamen vier Kinder, drei Söhne und eine Tochter, die leider vor gar nicht allzu langer Zeit einer tückischen Krankheit erlag.
Im November 1937 eröffneten Wilhelm und Ursula Donitzky in der Kurgartenstraße 1 ein Lebensmittelgeschäft. Heute befindet sich dort das Schuhhaus H. Penzin.
Die Kurgartenstraße war damals noch mit Kopfsteinen gepflastert und von zwei Baumreihen umsäumt.
„Wasser wurde damals von Pumpen auf der Straße geholt und Wäsche in der Trave vor dem Vogteigebäude gespült“, erzählt Ursula Donitzky. Gleich zu Kriegsbeginn 1939 wurde Wilhelm als Soldat eingezogen. Das Geschäft führte Ursula Donitzky unverdrossen fort und versorgte auch ihre damals noch drei Kinder liebevoll weiter.
Wie schwierig während der Kriegszeiten der Verkauf und die Verteilung von Lebensmitteln und anderen Dingen war, kann man nur beurteilen, wenn man die Zeit miterlebt hat. Fast alle Nahrungs- und Genussmittel konnte man nur nur gegen Abgabe eines Lebensmittelkartenabschnittes erwerben, auf dem die Menge des Produktes aufgedruckt war. Diese Abschnitte mussten peinlich genau gesammelt und auf vorgegebene Bögen aufgeklebt werden, denn der Kaufmann erhielt neue Ware nur gegen Vorlage dieser Belege. Bis in die Nacht hinein waren Ursula Donitzky und ihre bis zu zwölf Angestellten mit dem erforderlichen Papierkrieg beschäftigt. Jeder verantwortungsbewußte Lebensmittelkaufmann versuchte außerdem, seinen Kunden möglichst oft zuteilungsfreie Ware anbieten zu können. Diese betriebsinternen „Sonderzuteilungen“ mussten organisiert und beschafft werden. Das kostete viel Zeit und Arbeitskraft.
Als Wilhelm Donitzky nach sechs Jahren wieder nach Hause kam, fand er ein gut gehendes Geschäft mit zwölf Angestellten vor. Gegenüber ihres Geschäftes war ein freier Platz, auf dem nur eine Litfasssäule stand. Das Grundstück grenzte an das Wirtschaftsgebäude der Vogtei. Mit diesem Grundstück hatten die Donitzkys schon vor dem Krieg geliebäugelt. 1947 konnten sie es erwerben und mit dem Neubau eines Geschäfts und Wohnhauses beginnen, dem ersten Neubau in Travemünde, wie Ursula voller Stolz dem Chronisten berichtet. Mit Trümmersteinen, die größtenteils aus den Gebäuden der Erprobungsstelle der Luftwaffe auf dem Priwall stammten, großem Organisationstalent und unendlich viel Eigenarbeit entstand das neue Haus Kurgartenstraße 2, Eckhaus zur St. Lorenz Straße. 1948 zogen sie samt Geschäft in diesen ersten Travemünder Neubau ein. Erwähnt werden muß noch, dass die Leute in der Kurgartenstraße den Donitzkys bei dem Bau des Hauses tatkräftig geholfen haben. Hilfsbereit waren die Bewohner der Kurgartenstraße schon immer. „Und das ist auch heute noch so“, sagte Frau Donitzky, „bei uns hilft einer dem anderen.“
Nicht nur die Travemünder kauften bei Donitzkys ein, auch viele Kurgäste betraten gerne das gut sortierte Lebensmittelgeschäft an der Rückseite der St. Lorenz Kirche, der Name Donitzky war ein Begriff für Qualität und freundliche Bedienung.
1970 gaben sie das Geschäft aus Altersgründen auf und vermieteten die Geschäftsräume an die Fahrschule Themer. Das Ehepaar lebte noch dreißig Jahre in ihrer schönen Wohnung im ersten Stock des Hauses Kurgartenstraße 2. Von ihrem Wohnzimmer aus geht der Blick auf die St. Lorenz Kirche, vom erstaunlich großen Dachgarten schaut man direkt auf das rote Backsteingemäuer der alten Vogtei, in der unser Polizeirevier seine Amtsräume bis zum September 2002 hatte, bevor man zum Gneversdorfer Weg wechselte.
Am 14. September 1997 konnten Ursula und Wilhelm Donitzky nach 65 Ehejahren das Fest der Eisernen Hochzeit feiern. Drei Jahre später starb Wilhelm Donitzky im hohen Alter und seitdem lebt Ursula allein in ihrer alten gemütlichen Wohnung. Sie nimmt weiterhin regen Anteil an dem Geschehen unserer Zeit. Wenn sie von ihrem Leben und Wirken erzählt und aus früheren Zeiten berichtet, kann man stundenlang zuhören. Wie eine kleine Chronik reihen sich die Geschichten ihres ereignisreichen Lebens und vieler Travemünder Begebenheiten aneinander. Von ihren vier Kindern haben drei studiert, „ohne BAFög und Kindergeld“, wie sie mit einem gewissen Stolz erwähnt. Lange hat sich der Chronist mit ihr unterhalten und hat viel erfahren und gelernt durch ihre lebhaften Berichte. Und man erfährt auch so nebenbei, dass acht Enkel und zwei Urenkel für den Erhalt des Namens und der Familie Donitzky sorgen werden.
In ihrem Haus will sie bis an ihr Lebensende bleiben. Einen kleinen Spruch haben die Eheleute immer beherzigt: „Immer heiter, Gott hilft weiter!“ Wir wünschen ihr in diesem Sinne noch viele Jahre Zufriedenheit und Gesundheit im Hause Kurgartenstraße 2.
Helmuth Wieck
zurück zur Übersichtsseite Portraits Travemünder Personen