Travemünder Häuser Nr. 56
Trelleborgallee 2
1973 – 2003
MARITIM Strandhotel Travemünde
In der Ausgabe von Unser Travemünde von April-Juni 1971 können wir folgenden Artikel (gekürzt) lesen:
MARITIM – Vorstandsschreiben des Gemeinnützigen Vereins
an den Senat der Hansestadt Lübeck
Sehr geehrte Herren! Travemünde, den 24. März 1971
Der Vorstand des Gem. Vereins zu Travemünde hat sich in mehreren Sitzungen eingehend mit der Travemünde-Planung beschäftigt und hierbei insbesondere das von der MARITIM-Gruppe vorgesehene Großprojekt beraten. Darüber hinaus hat in der Jahreshauptversammlung vom 15. Januar 1971 Herr Senator Rüsse den Mitgliedern einen umfassenden Überblick über den Stand der Travemünde-Planung auch unter Berücksichtigung des Projektes MARITIM gegeben.
Vorstand und Jahreshauptversammlung haben sich positiv für das MARITIM-Projekt ausgesprochen. Der Gem. Verein ist davon überzeugt, daß dieses Projekt eine wesentliche Bereicherung Travemündes als Ferienzielort darstellt. Wir hoffen, daß der Standort des Hochhauses so gewählt wird, daß eine Beschattung des Strandes und der Strandpromenade vermieden wird.
gez. Dr. Gerhard Schmidt, Vorsitzender des GVT.
Das Foto oben auf dieser Seite ist eine Fotomontage, die der späteren Wirklichkeit schon ziemlich nahe gekommen ist. Selbstverständlich hat dieses Bauprojekt vehement geführte Diskussionen ausgelöst, und zwar besonders um den Standort des Gebäudes, weniger um die Größe und Höhe des Komplexes, denn Hotelhochhäuser schossen damals wie Pilze am Ostseestrand empor z. B. in Sierksdorf und Burgtiefe auf Fehmarn.
Der jetzige Standort des Travemünder MARITIM war bis Baubeginn heiß umstritten, und teilte die Bevölkerung beinahe in zwei sich heftig bekämpfende Lager. War für die eine Partei der notwendige Abriß alter Gebäude und der Verlust des mit Eichen und Buchen bewaldeten Friedrichs-Haines ein nicht mehr gut zumachender Eingriff in historisch gewachsene Kulturlandschaft, so betonte die Gegenpartei die unbedingte Notwendigkeit einer modernen Hotelanlage in zentraler Lage mit Schwimmbad, Sauna etc. in Travemünde, wenn es nicht den Anschluß an die anderen Badeorte an Ost- und Nordsee ganz verlieren wollte. Ausschlaggebend war schließlich die Bereitschaft der noch jungen Hotelgesellschaft, das „Freizeit- und Erholungszentrum Hotel MARITIM“ mit einem auch für die Öffentlichkeit zugänglichem Meerwasserschwimmbad zu versehen, was viele Travemünder mit dem „häßlichen Wolkenkratzer“ versöhnte.
Das Travemünder Strandhotel war der vierte Neubau der damals noch wenig bekannten Gesellschaft, die in Bad Salzuflen zu Hause ist. Der schon verstorbene Hans-Joachim Gomolla hatte den Mut, mit modernen Häusern eine neue Hotelkette aufzubauen, die neben der Übernachtung auch viele Freizeit- und Erholungsmöglichkeiten anbietet. Heute würde man auf gut deutsch „Wellness“ dazu sagen. Zur Zeit kann man im In- und auch im Ausland in 40 Hotels seine Erholung finden, davon viele in bekannten Kur- und Badeorten.
Die Vorarbeiten auf der Baustelle zum Travemünder MARITIM begannen im Juli 1971 unter der Leitung des MARITIM-Oberbauleiters Bauingenieur Peter Neurode, der später vom Architekten Wilfried Bernert abgelöst wurde. Wegen des teilweise aus Schwemmsand bestehenden Bodens mußte der Baugrund bis auf 59 m Tiefe untersucht werden. Dann begann der Abriß des 1959 zum Kurmittelhaus umgebauten aus dem 19. Jahrhundert stammenden Hansahotels. Viele bekannte Personen aus Kultur und Politik hatten hier ihr Quartier bezogen, z. B. auch der damalige Bundeskanzler Konrad Adenauer. Auch etliche andere schöne alte Häuser fielen der Abrißbirne zum Opfer, so auch das sehenswerte kleine Hotel Villa Augusta. Nur die Familie Klatt hat es fertig gebracht, ihr Haus Strandpromenade 2 vor der Zerstörung zu retten. Es steht heute sozusagen als Denkmal an frühere Zeiten des Seebades am Fuße des Hotel- und Appartementhochhauses. Gleichzeitig begannen die Rodungsarbeiten auf dem schon erwähnten Friedrichs-Hain und die Planierung des alten Hockeyplatzes und des Luftschutz-Unterstandes aus dem letzten Krieg.
Nachdem die umfangreichen Arbeiten an den Versorgungssystemen, wie Be- und Entwässerung, Strom, Gas, Telefonanlagen, Feuerschutz usw. abgeschlossen waren, konnte der Bau auf der ganzen Linie in Angriff genommen werden, dazu gehörten Garagensockel, Hotel Hochhaus, Kongreßzentrum, Restauration, Meeresbrandungsbad, geheiztes Außenbecken und der Kurmittelbereich mit Sauna, Ladenzeilen usw.
Am 1. Februar 1972 wurde mit den Arbeiten im untersten Geschoß des Hochhauses auf der meterdicken Fundamentplatte aus Stahlbeton begonnen. Die Rohbauarbeiten für das Gebäude und den umliegenden Basistrakt wurden der A.G. Hochtief, Niederlassung Hamburg übertragen. Als Sub-Unternehmer unter der Leitung von Hochtief übernahm die rumänische Firma Acrom, ein Unternehmen für Bau- und Montagearbeiten, die handwerklichen Leistungen. 140 Facharbeitskräfte wurden auf die vier Arbeitstrakte verteilt, 110 Handwerker ermöglichten die parallele Fertigstellung der Basisgeschosse des Baubereiches Hotel- und Kongreßzentrurn und ca. 70 Arbeitskräfte waren im Bäderteil beschäftigt. Die Rumänen wohnten in eigens für sie erstellten Wohneinrichtungen, wo sie unter ziemlich strenger Aufsicht ihre karge Freizeit verbrachten.
Die vorgenommenen Arbeitstrakte für die Erstellung der einzelnen Wohngeschosse entstanden in folgenden Abschnitten: Als erste Phase wuchs der Kern in einem Vorlaufvon fünf Geschossen in Zusammenarbeit mit der Firma Hub- und Gleitbau aus Hamburg im so genannten Gleitverfahren. Als zweite Phase begann daraufhin der Schottenbau des ersten Abschnittes. Vorgefertigte Groß-Schalelemente wurden zur Erstellung der Schottenwände aufgestellt, bewehrt und betoniert. Durch ein zeitlich genau abgestimmtes Kranspiel gingen die Arbeiten termingerecht vonstatten.
Die gewaltigen Baukräne prägten lange Zeit die Silhouette von Travemünde. Interessierte Beobachter der Bauarbeiten haben sich oft gefragt, wie denn die beiden Hochhauskräne in den Aufzugsschächten des Kernes empor kletterten. Das geschah im so genannten Hampelmann-Verfahren auf Kletterleitern, die durch Trägerroste im Schacht abgestützt wurden. Alle vier Tage wurde ein Geschoß rohbaumäßig fertig gestellt. Allein für die Hochhausgeschosse wurden etwa 30.000 cbm Beton und 3.000 t Stahl verarbeitet. Anschließend wurden Wandscheiben und Decken eingesetzt, und nachdem auch die Brüstungselemente, die Balkon-Trennschotten und die Fenster eingebaut waren, war das MARITIM für den Betrachter schon fast komplett. Im Winter 1972 waren die Fenster bereits verglast und die Innenarbeiten hatten begonnen. Nun begannen Maler, Tischler, Elektriker, Heizungsmonteure und viele andere Handwerker mit der Innenausstattung, deren Beschreibung ich mir aber ersparen kann, denn sie ist heute noch, wenn auch schon viele Male renoviert, zu besichtigen.
Das Hochhaus, also das Hotelgebäude, hat eine Grundfläche von 25,8 m mal 63,0 m, also rund 1625 qm. Darauf errichtet sind drei Garagengeschosse, ein Erdgeschoß, das untere Technikgeschoß, zweiunddreißig Wohngeschosse, das zweite Technikgeschoß, die Restaurationsetage, das Leuchtfeuergeschoß und das dritte Technikgeschoß. Im Gebäudekern sind die Hauptversorgungsschächte, zehn Aufzüge und zwei Sicherheitstreppenhäuser untergebracht. Um diesen Mittelteil gruppieren sich je Geschoß 24 Wohneinheiten. Das Hotel befindet sich im 4. bis 12. Stock. Die Wohnungen vom 15. bis 32. Geschoß wurden als Appartements im freien Handel angeboten und verkauft. Sie gingen weg wie „Warme Semmeln“.
Das Hotel verfügt über 211 Zimmer und Suiten mit Balkon und freier Sicht in alle Himmelsrichtungen.
Die ersten Direktoren waren die Herren Wachs und Prohaska. Herr Wachs, der sich Travemünde immer noch sehr verbunden fühlt, leitet das Berliner MARITIM, und Herr Prohaska ist für alle Hotels zuständig. Den jetzigen Direktor, Herrn Rose, stellen wir Ihnen im Personenportrait dieser Ausgabe ganz persönlich vor.
Im Hotelbereich werden etwa 150 Mitarbeiter beschäftigt und 30 „Azubis“ ausgebildet. Damit ist das Travemünder MARITIM der größte Arbeitgeber in Travemünde.
Zum Schluß noch einige Höhenangaben: Das Hochhaus mißt 119 m Höhe, mit Funkmasten gar 125 m. Damit ist es auch der höchste Leuchtfeuerträger in Europa. Dieser Fachausdruck stammt vom verstorbenen Kapitän John, der mich darauf aufmerksam machte, daß der höchste Leuchtturm irgendwo in der Bretagne auf einem hohen Steilufer steht. Der Seemann berechnet, wie ich belehrt wurde, die Höhe des Feuers nach Meereshöhe 0. Nach dieser Höhe über 0 wirbt auch das herrliche Restaurant „Über den Wolken“ im 35. Stock, da blickt man nämlich aus 125 m Höhe bis nach Lübeck, zum Hemmelsdorfer See und die Holsteinische Schweiz, und auf der anderen Seite über die Lübecker Bucht beinahe bis Grömitz. Besonders lohnend ist die Aussicht nach Mecklenburg über den Priwall hinweg. Bevor die Mauer zur DDR fiel, hat so mancher Flüchtling oder Ausgewiesene voller Sehnsucht in seine alte Heimat geblickt.
Nun ist das MARITIM Strandhotel Travemünde 30 Jahre alt geworden, und an seinen anfangs für Travemünde ungewöhnliche Anblick haben sich die Menschen gewöhnt. Wir wünschen dem Haus und seinen Mitarbeitern noch viele erfolgreiche Jahre.
Helmuth Wieck
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