Travemünder Häuser Nr. 71
Achterdeck 4-22
Gärtnerei Michael
Bei meinen regelmäßigen Besuchen in Travemünde versichert man mir immer wieder glaubhaft, dass man stets in der „Gärtnerei Michael“ und nirgends anders seine Blumen und Pflanzen gekauft habe. Und daher möchte ich die im einen der letzten „Unser Travemünde“ erwähnte Idee aufgreifen und hier über ein Haus berichten, das zwar nicht mehr steht, an das sich aber viele Travemünder sicher noch erinnern werden.
Nun zur Geschichte des Hauses.
Es begann alles mit meinem Großvater, Friedrich Michael, einem sehr unternehmungsfreudigen Kaufmann und Pflanzenzüchter. Aufgewachsen ist er in Sachsen-Anhalt und Thüringen in der Hochburg der deutschen Saatenzüchter. Im Jahre 1908 allerdings beschloss er, seine Heimat zu verlassen und sein Glück im hohen Norden zu suchen. Kurze Zeit später eröffnete er in Lübeck sein erstes Geschäft.
Mitte der 20er Jahre war es ihm möglich, einen lang gehegten Traum wahr zu machen, und er kaufte das als „Dreimädelhaus“ in Travemünde bekannte Haus und Grundstück Achterdeck 4-22. Es war zuvor im Besitz des Hamburger Kaufmanns Dahlström gewesen, nach dessen drei Töchtern dieses Haus hieß. Auf dem Grundstück befanden sich die sogenannte Villa und zwei Gärtnerhäuser. Im größeren Gärtnerhaus waren im Erdgeschoss ein Schweine- und ein Kuhstall, im kleineren gab es eine sogenannte „Pferdeküche“ und eine große Garage. Zu unserer Zeit haben weder Kühe noch Schweine, geschweige denn Pferde in den besagten Ställen gestanden. Die Namen wurden einfach übernommen. Die einzigen Tiere, die gehalten wurden, waren Hühner in verschiedenen Ställen. Ferner stand ein Pumpenhäuschen auf dem Grundstück mit einem sehr gefährlichen und völlig ungesicherten tiefen Brunnen. Sehr wichtig für die Durchsetzung der Ideen meines Großvaters waren die Gewächshäuser, die als Wein- bzw. Pfirsichhaus übernommen wurden. Der Anbau dieser recht exotischen Früchte wurde von meinem Großvater nicht weiter geführt. Stattdessen zog er dort gängige Blumensorten, vor allem Dahlien und Chrysanthemen. Vor diesen Gewächshäusern standen drei Treibbeet- bzw. Frühbeet-Anlagen.
Nach dem Tod meines Großvaters übernahm mein Vater, Werner Michael, in den 50er Jahren das Geschäft in Lübeck und die Gärtnerei in Travemünde. Er gab die Samenzucht auf und betrieb die Gärtnerei als reine Handelsgärtnerei. Vielleicht kann sich der eine oder andere Travemünder noch an die Gärtner Hein und Sick erinnern, die in den 50er und 60er Jahren dort tätig waren, als ich mit meinen beiden Geschwistern Roswitha (heute Frau Pape) und Roland auf diesem Grundstück aufwuchs. Wir Kinder wurden zu gelegentlichen Hilfeleistungen herangezogen. Man schickte sich damals viel mehr Blumen als es heute üblich ist. Beispielsweise waren wir Kinder zu Ostern und Weihnachten oder bei Konfirmationen im Einsatz und fuhren Blumen aus. Die Familien der Konfirmanden hatten schon immer Teller mit Süßigkeiten für uns „Blumenkinder“ als Botenlohn vorbereitet. Geld gab es damals sehr selten. Und wir fanden die Süßigkeiten auch viel schöner.
Natürlich befanden sich auch jede Menge Obstbäume, Beerensträucher und Erdbeerbeete auf dem Grundstück. Und wie es damals so üblich war, wurde alles im Sommer geerntet und für den Winter eingekocht. Wir Kinder „durften“ nur eingeschränkt direkt vom Baum oder Strauch von dem Obst essen, weil alles verwertet werden sollte.
Aber mehr als an alles andere kann ich mich noch an den wunderbaren Garten mit den unendlichen Spielmöglichkeiten erinnern. Wenn wir Kinder beispielsweise mit unseren Freunden „Verstecken“ spielten, gab es nicht enden wollende Möglichkeiten.
Die Villa mit Blick auf den Godewindpark war ein herrliches, hochherrschaftliches Haus. Uns Kinder beeindruckte immer sehr, dass sich in jedem Zimmer ein Klingelknopf befand. Man konnte diesen Knopf jedoch noch so heftig drücken, es eilte keine Dienstmaid herbei und erfüllte uns unsere Wünsche. Im Parterre befand sich eine große Terrasse vor zwei prächtigen, repräsentativen Zimmern sowie eine sogenannte Halle und zwei Küchenräume. Neun Zimmer und zwei Bäder boten unserer Familie viel Platz.
Es war durchaus beeindruckend, wenn man von der Rückseite, also vom Achterdeck 22, auf das Grundstück fuhr und die großen schwarzen Torbögen öffnete. Man fühlte sich in jene Zeit zurück versetzt, wo hier womöglich tatsächlich Pferde gehalten und Pfirsiche und Wein angebaut wurden.
In den 60er Jahren wurde das Gärtnereigrundstück Schritt für Schritt verkleinert und Mehrfamilienhäuser errichtet. Als letztes wurde die inzwischen doch recht renovierungs-bedürftige Villa abgerissen und auch dort entstand eine Wohnanlage.
Aber voller Nostalgie denken wir immer noch an dieses herrliche Grundstück mit seinen wunderbaren Häusern zurück.
Aber voller Nostalgie denken wir immer noch an dieses herrliche Grundstück mit seinen wunderbaren Häusern zurück.
Gisela Schober, geb. Michael
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