Travemünder Häuser Nr. 81
Mühlenberg 21
Das Haus Mühlenberg 21 ist eine besondere Adresse: Auf diesem Grundstück befand sich nämlich die Travemünder Mühle. Historisch belegt ist sie in einer Urkunde aus dem Jahre 1313, in der die Holsteiner Grafen Gerhard IV. und Johann III. auf die Erträge der dem „Heiligen Geist Hause“ gehörenden Mühle auf dem heutigen Mühlenberg verzichten. Es ist daher davon auszugehen, dass eine Mühle bereits in der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts die Travemünder Bevölkerung mit Mehl versorgte.
Es wird sich um die älteste Windmühle im Lübecker Raum gehandelt haben. Da kein Wasserlauf in der Nähe war, musste die Mühle als sog. Bockmühle konstruiert werden. Dabei wird die Mühle auf einem Holzgestell quasi „aufgebockt“ und das gesamte Mühlengebäude wird dann zur Gänze entsprechend der optimalen Windrichtung gedreht. Eine derartige Mühlenkonstruktion ist aber natürlich sowohl wegen des verwandten Materials Holz anfällig als auch wegen des mühseligen Drehvorganges schwerfällig.
In der 2. Hälfte des 16.Jahrhunderts wurde die Travemünder St. Lorenz-Gemeinde Eigentümerin der Mühle, die sicherlich während der vergangenen Jahrhunderte mehrfach restauriert worden war. Die Kirche als Eigentümerin schloss mit den Müllern der Mühle Pachtverträge ab. Die Mühle auf dem Mühlenberg verfügte über eine Monopolstellung in Travemünde, was dazu führte, dass für die Bevölkerung und die Bäcker ein Mahlzwang bestand, der erst im Jahre 1876(!) aufgehoben wurde. Es war dem sog. „Mahlgast“ untersagt, bei einer anderen preisgünstigeren Mühle (und das konnte wohl nur die in der Nähe Travemündes, aber nicht zu der Gemeinde gehörenden, befindende Rönnauer Mühle sein) mahlen zu lassen.
So bestimmt eine aus dem Jahre 1838 stammende „Ordnung und Taxe für die Wind-Mühle zu Travemünde“ im Detail, in welcher Reihenfolge zu mahlen sei, welche Rechte den Parteien bei Vertragsverstößen eingeräumt würden und wann der Mahlgast bei einer Überschreitung der vereinbarten Daten auf eine andere Mühle ausweichen dürfe. Auch die Mahlgelder waren konkret festgelegt.
Den Pachtzins hatte der jeweilige Müller an die St. Lorenz-Gemeinde zu zahlen, und zwar regelmäßig in Naturalien. Das Kirchenrechnungsbuch bestimmte im Einzelnen, welche Menge dem Pastor, dem Kaplan, dem Kloster und dem Siechenhaus abzuliefern seien.
1754 endete die Zeit der Bockmühle und wurde durch einen neuen Mühlentyp, die Holländermühle, ersetzt. Bei dieser drehen sich nur Haube mit Flügeln.
Erbaut wurde sie durch einen Zimmermann aus Moisling, der sich die Anregungen für diese Konstruktion offensichtlich in seinen Wanderjahren geholt hatte. Das Gebäude war nunmehr in Massivbauweise konstruiert.
Dennoch ging es wirtschaftlich mit der Travemünder Windmühle bergab: zum einen war der Müller durch den Wegfall des Mahlzwanges einem vorher nicht gekannten Konkurrenzdruck ausgesetzt, zum anderen verfügte er – anders als sein Rönnauer Mitbewerber – nicht über ein eigenes Brau- und Backrecht.
Ende des 19.Jahrhunderts verkaufte die St. Lorenz-Gemeinde die Mühle, so dass der Müller nunmehr auch Eigentümer der Mühle wurde. Bis in die 30er Jahre des 20. Jahrhunderts war die Mühle noch in Betrieb, wobei die wirtschaftliche Notlage des Müllers aber so groß war, dass er sich nicht einmal in der Lage sah, die durch den Sturm abgerissenen Flügel zu ersetzen.
Die Mühle wurde dann von dem Lübecker Zimmermeister Hermann Wandke erworben, der obere Teil abgerissen und der untere Teil zum Wohnraum umgebaut.
Hermann Wandke, der Gründer der Fa. Hanse-Fertighaus-Bau, bewohnte das Haus bis zu seinem Tod in den siebziger Jahren. In der ehemaligen Mühle wohnten neben Wandke noch mehrere Mitarbeiter seiner Firma, die sich ja „nebenan“ am Mühlenberg/Brodtner Kirchsteig befand.
Seit 1976 bewohnen das Ehepaar Mechthild und Prof. Eike Lehmann das Gebäude, zunächst als Mieter und dann als Eigentümer. Prof. Dr. Ing. Lehmann wurde 1975 – aus Hamburg kommend – Konstruktionschef der Flender Werft, seine Ehefrau ist Goldschmiedin. Ab November 1979 nahm er eine Professur an der Universität Hannover an, so dass er mehrere Jahre „zwischenfahren“ musste, da er sein schönes außergewöhnliches Heim natürlich nicht aufgeben wollte, ebenso wenig wie sein Hobby Segeln. Mittlerweile wurde sein Institut in das schneller erreichbare Hamburg-Harburg verlegt.
Das Grundstück umfasst 1800 qm, die gesamte Wohnfläche in Haupt- und Nebengebäuden beträgt 560 qm. Zusätzlich wurden später die benachbarte Pferdekoppel und Reitplatz von dem ehemaligen Travemünder Fuhrunternehmer Friedrichsen übernommen.
Der Erwerb des Gebäudes nebst Nebengebäuden war mit umfangreichsten Um- und Renovierungsbauten verbunden: so musste eine neue Heizung her, neue Elektrik, 37(!) Fenster, neue Türen; überspitzt gesagt, das einzige, was unangetastet blieb, ist die Eingangstür: sie soll das Gesellenstück von Hermann Wandke sein. Selbst eine Galerie oberhalb des Wohngebäudes wurde neu errichtet. Entstanden ist eine in Travemünde wohl einzigartige Wohnanlage über zwei Stockwerke, die dem Ehepaar Lehmann und seinen drei – mittlerweile – erwachsenen Kindern und den sechs Enkelkindern als Heimat dienten und dienen.
Die Nebengebäude sind vermietet, im Hauptgebäude befindet sich eine Mietwohnung und eine Ferienwohnung. Im ehemaligen Pferdestall am Reitplatz neben dem Haus hat sich die bekannte Travemünder Malerin Ilse Korzitzki ein Atelier eingerichtet.
Zu dem Grundstück gehört ein ca. 800 qm großer Garten und der ist das Hobby von Mechthild Lehmann. Der Garten senkt sich terrassenförmig zur Strasse hin ab und ist u.a. bepflanzt mit historischen englischen Rosen, Lavendel und einer kugelig geschnittenen Ligusterhecken. Von ihren Ostasienreisen hat das Ehepaar Lehmann Ginkgosamen mitgebracht und Gingkopflanzen gezogen. Zusätzlich befinden sich 20 Obstbäume auf der Streuobstwiese, die offensichtlich so bemerkenswert ist, dass sie Eingang in die Internetwerbung eines benachbarten Wohnungsbauunternehmens gefunden hat („Wohnen am Apfelgarten“). Der gesamte Garten wird eigenhändig bewirtschaftet und gepflegt. Da die Familie Lehmann ursprünglich aus Halle stammt und dort über den berühmten „,Lehmannschen Garten“ verfügte, pflegt Prof. Lehmann halb im Scherz auch sein Travemünder Kleinod als „Lehmannscher Garten“ zu betiteln.
Seit 2008 stellt Frau Lehmann den Garten als „Offenen Garten“ zur Verfügung. Dieser kann dann an bestimmten Tagen von der Öffentlichkeit besucht werden.
Sowohl im Jahre 2008 als auch 2009 wurden anlässlich der Öffnungszeiten seitens der Travemünder Kiwanisdamen, deren Mitglied Mechthild Lehmann ist, Speisen, Getränke, hausgemachte Marmeladen und Pflanzen angeboten. Der Reinerlös aller Einnahmen ging als Spende an das Haus „Schutzengel“ in Hannover, für Mukoviszidose-kranke Kinder.
Im Jahre 2009 fanden zwei Termine in „Lehmanns Garten“ statt: am 20.Juni als „Tag des offenen Gartens“ mit einem Klassikkonzert, dargebracht von Damen aus dem Kiwaniskreis und am 4.Juli mit der „Langen Nacht der Gärten“, musikalisch untermalt von einer Jazzband des Johanneums. Frau Lehmann schätzt, dass 2009 ihre beiden Veranstaltungen von etwa 500 Personen besucht wurden.
2008 konnte ein Betrag von 2000 €, 2009 sogar 2500 € an Kiwanis aus dem Offenen-Garten-Projekt überwiesen werden.
Bei dem wunderschönen Garten, verbunden mit dem einmaligen Ambiente und den liebenswürdigen Gastgebern und vielen interessierten und sachkundigen Gästen ist zu hoffen, dass die Aktion auch im nächsten Jahr ein voller Erfolg wird.
Übrigens, falls Sie über den Ausdruck „die“ Travemünder Mühle gestolpert sein sollten, wo es doch auch die Rönnauer und die Gneversdorfer Mühle gibt: in Rönnau existierten sogar zwei Mühlen, eine Wassermühle und eine Windmühle. Aber: weder Rönnau noch Gneversdorf gehörten zum Ort Travemünde, sondern waren eigenständige Dörfer.
Rolf Fechner
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