Travemünder Häuser Nr. 85
Mühlenberg 23
die „Rosenburg“
Eines der imposantesten älteren Gebäude erhebt sich an der Ecke Rose/Mühlenberg über Travemünde: die „Rosenburg“.
Schon seit langem war ich interessiert daran, mehr über dieses Haus und dessen Geschichte zu erfahren. Nunmehr wurde meine Neugier gestillt: Ich danke Frau Charlotte Grantz sowie Frau Eva-Maria Zubke für die zahlreichen Informationen.
Nachdem auch die letzten Wallanlagen des Städtchens Travemünde beseitigt worden waren, konnte die Straße „Rose“ bis zum Mühlenberg verlängert werden. Ab dem Mühlenberg erstreckten sich neben der Mühle Grundstücke, die als Gärten und Äcker benutzt wurden. Die Straße Mühlenberg war noch nicht bis zur Fehlingstraße verlängert; hier gab es nur einen reinen Trampelpfad.
Eines der größeren Grundstücke, das sich von dem Mühlenberg/Ecke Rose bis zum heutigen Maikuhlenweg erstreckte, gehörte einem Junggesellen und Vorfahren des Erbauers der „Rosenburg“, Peter Adolf Grantz. Da er kinderlos war, vererbte er seine Liegenschaften, zu denen auch das jetzige „Haus Lütgens“ in der Fehlingstraße sowie „Soldwisch“, dessen Grundstück von der Kurgartenstraße bis zur heutigen Vogteistraße (seinerzeit Bahnhofstraße) geht, gehörte, an seine beiden Neffen und seine Nichte.
Peter Adolf Grantz erhielt das Grundstück am Mühlenberg. In Travemünde hatte er sich vor allen Dingen einen Namen als Musiker gemacht: im Saal des Hauses Soldwisch spielte er zum Tanze auf. Das jeweils letzte Stück des Abends sagte er mit der Bemerkung an „Een lütten tom End“. Aus dieser Schlußansage entstand dann sein Spitzname „Tom end“, mit dem er in ganz Travemünde bekannt war.
Verheiratet war er mit Johanna, geb. Steen. Beide betrieben auf ihrem Grundstück am Mühlenberg einen bedeutenden Gartenbaubetrieb. Dessen Erzeugnisse, also Obst und Gemüse, bot er mit Handelswagen im Wesentlichen den an der Kaiserallee und Neutravemünde gelegenen Fremdenverkehrsbetrieben an, ergänzt durch Südfrüchte, die er auf dem Hamburger Großmarkt zukaufte.
Im alten Travemünde konnte er seine Gartenprodukte jedoch schlecht verkaufen, weil die Travemünder häufig über eigene Kleingärten verfügten, die sie selbst zu Obst- und Gemüseanbau nutzten.
Aus der Ehe gingen 7 Kinder hervor, 5 Jungen und 2 Mädchen. Gewohnt hat die Familie in einem, einem Schweizer Haus nachempfundenen, Chalet aus Holz. Eine seiner kleinen Töchter stürzte mit einer Petroleumlampe so unglücklich, dass das ganze Haus Feuer fing und letztlich ein Opfer der Flammen wurde. Obdachlos geworden, zog die Fam. Grantz vorübergehend in die Bahnhofstrasse, der jetzigen Vogteistrasse.
Johanna Grantz hatte nun die Idee, etwas versetzt von dem ehemaligen Chalet eine Villa zu bauen. Stark unterstützt wurde sie von ihrem Sohn, der sich als Maurer und Polier um die praktische Umsetzung kümmerte. Die Villa wurde hochwertig konzipiert und gebaut. In die Wohnungen wurde Pitchpine gelegt und die lasierten Ziegel schmücken noch heute das Dach. Die Gesamtwohnfläche umfasst mehr als 400 qm.
1911 war das Gebäude fertig. Es erhielt den Namen „Rosenburg“, nicht etwa weil es über der Straße Rose thronte, sondern weil die Gärtnersfamilie links und rechts vom Eingang Rosen pflanzte und auch den Vorgarten mit Rosen versah.
Über viele Nachbargebäude verfügte die „Rosenburg“ nicht. Am Mühlenberg war es die Travemünder Mühle und das nächste Haus in der Rose war die alte Travemünder Schule, das spätere Gemeindehaus.
Interessant ist, dass die Stadt Lübeck schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Vorstellung gehabt haben muß, „irgendwann“ die Rose bis zum Moorredder zu verlängern. Folgt man dem jetzigen Straßenzug, so sieht man, dass die Verlängerung nur durch einen kleinen Schlenker erreichbar ist. Wegen dieser „Überlappung“ verpflichtete sich der Bauherr, bei einer Verlängerung der Straße Mühlenberg Richtung Fehlingstraße Land abzugeben, damit aus dem Trampelpfad eine richtige Straße entstehen konnte. So geschah es dann auch später, als der Mühlenberg gänzlich erschlossen wurde. Auch die Rose wurde in den 60er Jahren bis zum Moorredder verlängert.
Die Familie Grantz zog in das schön ausgebaute Souterrain und vermietete die weiteren 3 Wohnungen. Das gesamte ungeteilte viele tausend Quadratmeter umfassende Grundstück wurde von ihr für Obst- und Gemüse sowie Ackerbau und als Gärtnerei genutzt.
Leider währte die ungetrübte Zeit nicht lange: Peter Adolf Grantz zeichnete im 1. Weltkrieg in großem Umfang Kriegsanleihen, die nach der Niederlage des Deutschen Reiches schlicht wertlos wurden. Damit hatte sich Herr Grantz finanziell übernommen. Die Inflation von 1923 tat ein Übriges.
Zwar konnte eines seiner Kinder noch das „Landhaus“ pachten und als Restaurant führen, aber die „Rosenburg“ war nicht mehr zu halten und wurde Ende der 20er Jahre an einen Architekten aus Hannover, einen Herrn Haarstick, verkauft. Herr Haarstick nutzte das Souterrain des Hauses für sich und seine Familie als Ferienwohnung, die weiteren drei Wohnungen blieben vermietet. Die Familie Grantz zogen in ein Haus neben der „Rosenburg“, das ursprünglich als Lagerhalle genutzt wurde. Peter Adolf Grantz starb 1938 im Alter von 80 Jahren, seine Frau Johanna folgte ihm 1940, ebenfalls mit 80 Jahren.
Im Volksmund bekam die „Rosenburg“ bald den Spitznamen „Lehrerhaus“, wohnten doch hier die Lehrer Meier, Moll und Sturmhöfel. Dabei soll Herr Sturmhöfel zusammen mit Gleichgesinnten ausgesprochen nette Musik gemacht haben, der die damaligen Nachbarn gerne lauschten. Charlotte Grantz, der ich diese Informationen verdanke, war mit Wilhelm Grantz, Peter Adolfs Sohn, verheiratet, der 1978 verstarb.
1965 verkaufte Herr Haarstick das Haus an Eva-Maria und Wilhelm Zubke. Herr Haarstick hatte sich nicht mehr im Stande gesehen, Travemünde als Ferienort zu nutzen, da seine Tochter hier bei einem tragischen Unfall ums Leben gekommen war.
Eva-Maria und Wilhelm Zubke kamen ursprünglich aus Hinterpommern, der Stadt Kolberg bzw. dessen Umkreis und sind 1945 nach Travemünde geflohen. Richtig kennen und später lieben gelernt haben sich allerdings erst auf dem 1. Kolberger Treffen am 1.Juli 1950 im Kurhaus. 1950 wurde auch geheiratet. Bekannt in Travemünde wurden die Zubkes durch ihr Schuh- und Lederwarengeschäft in der Vorderreihe.
Dort wohnten sie auch zunächst. Nach dem Erwerb des Hauses zogen sie in die Wohnung im 1. Stock der „Rosenburg“ versehen mit einem wunderschönen Balkon. Die anderen Wohnungen blieben vermietet, wobei die Wohnung im Souterrain, das von Herr Haarstick wie eine Kapitänskajüte gestaltet war, als Ferienwohnung vermietet wurde, nun aber auch seit längerem von einem Dauermieter bewohnt wird. 1980 starb Wilhelm Zubke. Bis zum Sommer 2010 konnte Eva-Maria Zubke die Wohnung weiter nutzen. Krankheitsbedingt und natürlich schweren Herzens mußte sie ihre Wohnung verlassen und hat nun eine neue Bleibe im St. Birgitta gefunden, wo sie sich allerdings auch wohl fühlt.
Rolf Fechner
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